Urlaub zuhause?
Ich habe im letzten Teil der neurodivergenten Urlaubstipps angesprochen, dass ein Urlaub zuhause vielleicht die bessere Entscheidung sein kann – oder auch gar nicht anders möglich ist. Jetzt ist Urlaub ohne wegfahren aber immer mit einer gewissen Enttäuschung und Unzufriedenheit verbunden, denn irgendwie verbinden wir Urlaub mit Wegfahren und sich zu Hause erholen, dort, wo ohnedies schon viel zu viel Stress herrscht – wie soll das gehen?
Deswegen jetzt meine Ideen für Urlaub zuhause!
Was macht Urlaub zu Urlaub?
Für mich heißt Urlaub erstmal „frei haben“ und ja, das klingt vielleicht ein bisschen merkwürdig von einer Person, die keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Wovon sollte ich frei haben? Vom Nichtstun?
Die Sache ist aber die: Ich tue ja überhaupt nicht nichts!
Ich organisiere mein und unser Leben, arbeite quasi konstant an meiner psychischen Gesundheit, manage meine Schmerzen, kümmere mich um den Haushalt und schreibe solche Texte. Frei haben heißt für mich daher: Ich lasse die Dinge, die ich ruhen lassen kann, ruhen.
Natürlich hören meine Schmerzen nicht einfach so auf, nur weil ich jetzt Urlaub habe, und auch meine Psyche hält sich nicht unbedingt an Urlaubszeiten, sondern wird auch im Urlaub getriggert und dann muss ich mich darum kümmern – hilft ja nichts. Und auch der Alltag ist ja nicht einfach weg – noch weniger, wenn ich nicht wegfahre, sondern zuhause bleibe.
Es läuft also auf eine Minimal-Lösung hinaus: So wenig wie möglich, so viel wie nötig.
Bei mir heißt das, ich kümmere mich für meine festgelegte Urlaubszeit nicht um E-Mails, Briefe, Telefonate, organisiere keine Termine und lege den Urlaub – oder die Termine – so, dass ich keine Termine IM Urlaub habe.
Frage dich also: Wo kannst du deinen Alltag in eine Art Urlaubsmodus versetzen? Was kannst du vielleicht für eine Weile ignorieren? Worum musst du dich nicht ständig oder sofort kümmern und kannst es auf später verschieben? Der Alltag geht natürlich nicht weg, aber vielleicht kannst du ihn dennoch auf „später“ verschieben.
Dir würde das im Nachhinein mehr Stress bereiten? Dann finde deine persönliche Variante davon!
Stressfaktoren herausfinden und reduzieren
Was stresst dich in deinem Alltag? Ja, ich weiß, das stressigste sind die Dinge, die nicht von dir beeinflussbar sind und die wirst du natürlich auch im Urlaub nur bedingt los, aber ich denke, wir alle haben auch Stressfaktoren, die wir selbst beeinflussen können.
Das sind die Dinge, die oft mit unserer eigenen Einstellung zusammenhängen. Vielleicht denkst du, dass es wichtig wäre, eine ordentliche Wohnung zu haben, aber in Wirklichkeit stresst dich das Aufräumen viel mehr, als dir die aufgeräumte Wohnung zurückgibt. Vielleicht kochst du zwar total gerne, aber es täglich tun zu müssen, bedeutet für dich Stress. Vielleicht steigst du täglich auf die Waage und wenn sie sich in die falsche Richtung bewegt, ist dein Tag schon gelaufen.
Was ich sagen möchte: Finde die Kleinigkeiten heraus, die dafür sorgen, dass du dich gestresst oder schlecht gelaunt fühlst und schmeiße sie (mindestens) für den Urlaub aus deinem Leben – es ist total okay, die Wohnung nicht aufzuräumen, zu snacken statt täglich zu kochen oder die Waage einfach mal zu ignorieren.
Entspannungsfaktoren suchen und verstärken
Hier geht es jetzt genau in die andere Richtung: Was tut dir gut? Was erholt dich? Was beruhigt dich? Wann fühlst du dich wohl?
Ich weiß, das sind oft Dinge, die wieder andere Sachen voraussetzen und auf umso mehr Arten wir eingeschränkt sind – finanziell, körperlich, sensorisch… -, umso mehr Möglichkeiten fallen natürlich weg. Ich möchte dich aber dazu anregen, nach den Dingen zu suchen, die dir trotz deiner Einschränkungen möglich sind, denn die gibt es, selbst wenn sie manchmal nur ganz klein und unscheinbar wirken.
Wenn du erstmal weißt, was dir guttut, dann nutze deinen Urlaub dafür, umso viel davon zu machen wie möglich – und das so oft wie es nur geht.
Ein zusätzlicher Tipp: Halte dich nicht an den Dingen fest, die dir früher möglich waren, es jetzt aber nicht mehr sind. Ich weiß, das ist unheimlich bitter und frustrierend und du musst darüber trauern. Du möchtest dir aber gerade etwas Gutes tun und deswegen: Schiebe das zumindest für jetzt beiseite!
Mach‘ es dir schön
Bist du gerne bei dir zuhause? Fühlst du dich dort wohl? Oder ist es eher so, dass du selbst bei dir zuhause nie ganz zur Ruhe kommst?
Dein Zuhause sollte der Ort sein, wo du wirklich gerne bist, wo du entspannen kannst und möglichst keinen Stress hast – nicht nur, wenn du den Urlaub dort verbringst, sondern immer. Es ist dein Rückzugsort.
Deswegen frage dich, ob und was dir fehlt, um zuhause wirklich zuhause zu sein. Vieles lässt sich nicht beeinflussen – die ewig lauten Nachbar*innen wirst du nicht loswerden und wenn du seit Wochen eine Baustelle vor der Tür hast, wird sie auch nicht einfach so verschwinden, weil dir das guttun würde.
Anderes aber kannst du verändern: Du fühlst dich in deinem Bett nicht wirklich sicher? Vielleicht hilft es dir, es an einen anderen Platz zu schieben? Du würdest gerne einem neuen Hobby nachgehen, aber dir fehlt der Platz? Vielleicht kannst du etwas umräumen oder ausmisten und dir so den Platz schaffen?
Oft reichen Kleinigkeiten aus, um etwas zu ermöglichen oder besser zu machen – du musst sie nur finden.
Schließe Frieden mit deiner Entscheidung
Ich weiß, es ist hart, wenn du gerne in den Urlaub fahren würdest – und das vielleicht auch alle um dich herum machen -, du es aber nicht kannst. Es ist vielleicht nicht wirklich (d)eine Entscheidung oder du triffst sie nur aus Vernunftgründen, leidest aber dennoch darunter.
Schließe Frieden damit.
Das klingt so banal, ist es aber überhaupt nicht. Sich mit ungewollten Entscheidungen zu arrangieren ist hart. Da steckt viel Trauer darin, viel Wut, viel Hilflosigkeit. Nichts ist so schwer auszuhalten, wie nichts tun zu können!
Das Problem ist nur: Du stresst dich damit! An der Situation ändert sich nichts, aber umso mehr du sie verabscheust, dich darüber ärgerst und darunter leidest, umso mehr stresst sie dich.
Ich sage nicht, dass in jeder Situation etwas Positives ist und du es nur finden musst; dem ist nicht so. Was du aber tun kannst, ist, für dich einen – vielleicht ja auch nur vorübergehenden – Frieden damit schließen. Ärgere dich nach deinem Urlaub wieder darüber, wenn du das möchtest, aber IM Urlaub, willst du dir Gutes tun und dich zu ärgern tut dir nicht gut.
Mach‘ es dir leicht
Weißt du, was einer der Hauptgründe ist, warum wir Wegfahren als Urlaub empfinden? Dass wir uns an weniger Regeln halten, die Dinge lockerer sehen, über die Stränge schlagen, uns etwas gönnen, nicht so sehr darüber nachdenken, ob wir das 2. oder 3. oder 4. Eis wirklich noch essen sollten, sondern es einfach tun.
Deswegen: Sei großzügig zu dir selbst und mache es dir leicht.
Du hast keinen Bock zu duschen, dabei ist das letzte Mal schon zwei, drei Tage her? Solange sich deine Mitbewohner*innen nicht beschweren oder du dich selbst damit unwohl fühlst: Dann duschst du halt morgen! Du möchtest Kuchen zum Frühstück? Ja, dann iss ihn doch! Du willst den ganzen Tag nackt auf der Couch liegen und deine Lieblingsserie gucken? Nur zu!
Solange du damit anderen nicht schadest: Lebe zumindest im Urlaub so, wie du es willst. Du wirst schon nicht verlottern, nur weil du mal ein paar Tage die Dinge locker nimmst und dich nicht an gesellschaftliche Normen und Regeln hältst, nicht fleißig bist und nicht an dir arbeitest.
Die Sache mit der Sehnsucht
Vollkommen egal, wie sehr du mit deiner Entscheidung Frieden geschlossen hast, wie wohl du dich bei dir Zuhause fühlst und was für erholsame Dinge du tust: Du wirst dennoch immer wieder Sehnsucht nach etwas anderem, nach dem, was nicht geht, haben.
Ich habe immer wieder Phasen, wo ich tagelang Reisen plane, weil ich mich so danach sehne – Reisen, die ich aber nie machen werden könne. Ich sage es ganz ehrlich: Das sind nicht meine besten Phasen und es fühlt sich überhaupt nicht gut an – aber sag das mal der Sehnsucht.
Es ist okay, Sehnsucht nach etwas anderem zu haben – auch und gerade, wenn es nicht für dich erreichbar ist und vielleicht auch nie sein wird. Verliere dich nur nicht in dieser Sehnsucht und versinke nicht in deiner eigenen Hilflosigkeit gegenüber der Situation.
Achtsamkeit und der Gedanken-Stopp
Wenn du merkst, dass deine Sehnsucht nach etwas unerreichbarem immer größer wird, gewöhne dir an, sie bewusst zu stoppen. Setze dir selbst ein klares, inneres Stopp-Zeichen. Das kann zum Beispiel so aussehen, dass du dir in Gedanken selbst sagst: „Stopp jetzt! Ja, das wäre alles total schön und ich denke auch gerne darüber nach, aber JETZT will ich mein Leben weiterleben!“ Und dann tust du das auch! Beschäftige dich mit etwas, denk‘ über etwas ganz anders nach, lass‘ die Gedanken nicht wieder rein.
Ich weiß, ich weiß, das klingt schräg! Es funktioniert aber! Wahrscheinlich nicht beim ersten Mal und auch nicht beim zweiten, aber nach einer Weile wird dir auffallen, dass es tatsächlich wirkt. Es ist eine Methode aus dem Achtsamkeitstraining und nennt sich „Gedanken-Stopp“ und ich setze sie mittlerweile sehr vielfältig ein – zum Beispiel auch um abends einschlafen zu können.
Das Bild von Urlaub verändern
Zuhause Urlaub zu machen ist oft keine wirklich freie Entscheidung. Sie ist den Umständen geschuldet, den eigenen eingeschränkten Möglichkeiten und Behinderungen. Zuhause Urlaub zu machen ist nicht das, was wir uns unter Urlaub wirklich vorstellen.
Ich will dich aber einladen, dein Bild von Urlaub zu verändern. Urlaub sollte deiner Erholung und Entspannung dienen. Erholung und Entspannung findest du aber auch außerhalb dessen, was uns als Urlaub verkauft wird!
Definiere Urlaub für dich neu! Finde die Dinge, die dir gut tun und dir (problemlos) möglich sind. Finde heraus, was dir Stress bereitet und von dir beeinflussbar ist und dann reduziere es, soweit du kannst. Halte dich nicht mit dem auf, was du nicht beeinflussen und verändern kannst, sondern suche nach dem, worauf du Einfluss hast!
Ich weiß, dass das alles nicht einfach ist und das eingeschränkte Möglichkeiten – egal aus welchem Grund – immer auch mit Schmerz, Trauer und Leid verbunden sind. Lass‘ dich davon aber bitte nicht abhalten, auch glücklich zu sein – auch wenn du andere Wege dafür brauchst.