Über mich
Hallo, schön, dass du da bist. Darf ich mich kurz vorstellen? Ich heiße Claudia, verwende als Pronomen sie/ihr, bin Anfang 40 und neurodivergent.
Irgendwie anders fühle ich mich schon mein ganzes Leben. Ich war ein sehr unsicheres Kind, unbeholfen und linkisch im Umgang mit anderen. Im Kindergarten hielt ich mich lieber in der Nähe der Erzieherinnen auf als mit den anderen Kindern zu spielen. Kindergeburtstage – auch meine eigenen – waren mir zu laut und zu voll. Den als Nikolaus verkleideten Bekannten meiner Eltern wollte ich weder anschauen, noch begrüßen und löste damit einen Eklat aus. Ich summte beim Essen, weil es so gut schmeckte und mich so glücklich machte, aber wie so vieles, was ich tat, war auch das offensichtlich schlechtes Benehmen. Außenstehende sahen es mir meistens nach, denn ich war ein Scheidungskind und da war man eben ein bisschen seltsam.
Niemand machte sich Sorgen, als ich Stunden über Stunden mit Büchern verbrachte und selbst dicke Sammelbände innerhalb eines Tages auslas oder alles über Pferde lernte, was ich irgendwie finden konnte. Es war das, was als typisches „Mädcheninteresse“ galt und auch wenn meine Beschäftigung damit durchaus extrem war, war es nicht weiter besorgniserregend für meine Umgebung.
Lange hielt ich an meinen Interessen fest, auch noch, als ich schon längst als zu alt für Pferde galt und mich doch jetzt eigentlich mit Mode, Make-up und Jungs beschäftigen sollte. Es wunderte sich aber auch niemand wirklich darüber, denn ich war schließlich dick – offensichtlich hatte man da kein Interesse an so etwas zu haben. /s Tonindikator: Sarkasmus
Schlimmer war jedoch, dass ich es nicht schaffte, pünktlich zu sein. Digitale Uhren waren verpöhnt, aber analoge Uhren konnte ich nicht ordentlich ablesen und als ich die Anweisung bekam, bei einem bestimmten Läuten der Kirchturmuhr zuhause zu sein, war mein Scheitern bereits vorprogrammiert, denn natürlich machte ich mich überhaupt erst auf den Heimweg, als sie anfing zu schlagen.
Ich verlor häufig Dinge – Fahrkarten, Geld, Schulsachen, Elektronik… – und konnte mich überhaupt nicht daran erinnern. Es wurde mir als Absicht ausgelegt, als Boshaftigkeit und Unwillen, dabei vergaß ich einfach nur die Existenz der Sachen in dem Moment, in dem ich nicht mehr bewusst an sie dachte.
Am Glücklichsten war ich immer alleine, in meiner gewohnten Umgebung und vertieft in meine Bücher. Da war niemand, der mich und mein Verhalten bewerten konnte oder für den ich „ein Gesicht zog“. Die Wochenenden bei meinem Vater und seiner neuen Familie waren extremer Stress für mich, denn ich kannte all die ungeschriebenen Regeln dieser Familie nicht und hatte noch mehr Angst, etwas falsch zu machen.
In der Schule hatte ich so gut wie nie Probleme. Ich interessierte mich für nahezu alles und alles, was mich interessierte war einfach für mich zu lernen. Wobei ich nie tatsächlich lernte; ich konnte es einfach. Hatte ich aber kein Interesse an etwas (meistens, weil die Lehrkraft und ich nicht miteinander klarkamen), dann konnte ich es auch nicht, egal wie viele Stunden ich damit verbrachte oder welche Konsequenzen man mir androhte. Ich solle nicht so bockig sein, wurde mir gesagt, aber ich verstand es nicht, denn ich war nicht bockig! Es wollte nur einfach nicht in meinen Kopf.
Umso älter ich wurde, umso größer wurden die Erwartungen an mich, denn ich war ja offensichtlich intelligent und geschickt und hatte somit fehlerfrei und perfekt zu sein – war ich es nicht, lag es an meiner „Einstellung“ und meinen Charaktermängeln. Überhaupt wurde mein Charakter mehr und mehr zum Angriffsziel und über die Jahre verinnerlichte ich, dass ich wohl ein von Grund auf schlechter Mensch sein musste.
So gut es mir in der Schule gegangen war, so sehr strauchelte ich an der Uni. Ich hatte keine Bezugspersonen mehr, alles war neu für mich, die sozialen Anforderungen waren so viel höher und ich kam überhaupt nicht zurecht. Glücklich war ich nur während der Zeit, die ich an meiner alten Schule verbringen konnte, denn dort hatten sie mich gefragt, ob ich die Schulsekretärin während einiger Monate vertreten könnte. Das war es, was mir Spaß machte und was ich tun wollte, aber ich durfte nicht; ich sollte studieren.
Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich brach das Studium ab und entfloh – mit Hilfe meines heutigen Ehemanns – nicht nur der Uni, sondern auch meinen Eltern. Es folgte ein Zusammenbruch, der komplette Kontaktabbruch zu meinen Eltern und eine lange, dunkle Phase der Depression – und ein noch viel längerer Weg hinaus.
Ich weiß heute, dass ich eine komplexe poststraumatische Belastungsstörung (kPTBS) aus meiner Kindheit und Jugend, sowie dem jungen Erwachsenenalter davongetragen habe. Viele meiner Erfahrungen manifestieren sich in Ängsten, vor allem in einer sozialen Angststörung (inklusive massiver Angst vor Kritik und Zurückweisung), gegen die ich permanent ankämpfen muss. Ich habe immer noch depressive Episoden, die meistens meinem Zyklus folgen – man spricht dabei vom prämenstruellen disphorischen Syndrom (PMDS).
Mir geht es inzwischen – meistens – eher gut. Wir haben unser Leben so aufgebaut, dass es auf mich und meine Bedürfnisse Rücksicht nimmt – keine Sorge, mein Mann kommt dabei nicht zu kurz! Wir wohnen in einer kleinen, wunderschönen, gemütlichen Mietwohnung, die ich immer wieder noch ein bisschen schöner und noch ein bisschen praktischer für uns mache, denn ich liebe handwerkliche Tätigkeiten, kreative Lösungen und Pläne schmieden.
Wenn ich fit genug dafür bin, stehe ich in der Morgendämmerung auf und verbringe manchmal Stunden auf Spaziergängen. Ich liebe weite Flächen, Wälder, Büsche und Bäume, jede Art von Gewässer, das Singen der Vögel und die vielen kleinen und größeren Tiere, die mir dabei begegnen. Das beruhigt und entspannt mich. Manchmal bin ich aber auch wochen- bis monatelang nicht dazu in der Lage.
Ich koche unheimlich gerne und liebe vor allem die syrische, libysche, türkische, israelische, palästinische, chinesische, vietnamesische und indische Küche. Am Glücklichsten bin ich, wenn ich große Berge Gemüse in Julienne oder Brunoise schneiden kann. Phasenweise backe ich sehr gerne, mag vor allem klassische Rührkuchen und Hefeteige, gerne auch in Form von Plunderteig, und manchmal habe ich Spaß an Tortenkreationen oder aufwändigen Plätzchen. Und ja, ich rede auch sehr gerne über Essen. Leider spielen mir aber meine Energie oder meine exekutiven Funktionen häufiger einen Streich und dann klappt weder kochen, noch backen und wir bestellen unser Essen beim Lieferdienst oder es gibt belegte Brote.
Wenn es mir gut geht, habe ich Unmengen an Ideen, wie man etwas verbessern oder erleichtern könnte, bemühe mich aber meistens, mich dabei zurückzuhalten, weil ich gelernt habe, dass der Status quo oft bevorzugt wird. Manchmal überwältigen mich die tollen Ideen aber geradezu und ich überrasche Menschen dann mit Dingen, von denen ich denke, dass sie ihnen helfen könnten.
Wir haben keine Kinder und das Geld verdient mein Mann. Ich habe lange damit gehadert „nichts“ zu tun und mich sehr deswegen extrem unter Druck gesetzt. Was ich alles an Arbeit erledige, um unser und sein Leben besser zu machen, sehe ich meistens nicht und die Phasen, in denen ich physisch und psychisch noch nicht mal dazu in der Lage bin, zu kochen oder aufzukehren, machen das für mich noch schlimmer. Für meinen Mann hingegen sind weder diese Phasen, noch meine fehlende Erwerbsarbeit je ein Problem gewesen. Er ist derjenige, der stolz auf mich ist und mir meine Leistungen bewusst macht und mich darin bestärkt, meinen ganz eigenen Weg zu finden und zu gehen. Manchmal fühle ich mich immer noch schlecht dafür, nicht berufstätig zu sein, denn ich weiß natürlich, wie negativ das gesehen wird und wie leicht das auch schiefgehen kann. Aber: Unser Leben, unsere Möglichkeiten, unsere Entscheidung!
Ich erzähle hier und auf Instagram von meiner Neurodivergenz, hauptsächlich in Form von ADHS und Autismus; eine leichte Dyskalkulie spielt wohl auch hinein. Auch meine soziale Angststörung, sowie meine kPTBS und die PMDS tauchen ab und zu auf, ebenso wie meine vielfältigen – und gerne auch häufig wechselnden – Interessen.
Ich freue mich, wenn du mich eine Weile begleitest und an meinen Erfahrungen und Erlebnissen teilhaben möchtest. Vielleicht magst du mir ja auch etwas über dich erzählen?