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My neurodivergent life is a piece of art

ADHS und Herausforderung als Motivationsfaktor

ADHS und Herausforderung als Motivationsfaktor

10. Mai 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

Mein Fitnesstracker sagt: „8607 von 1000 Schritten – Tagesziel übertroffen!“ Er lobt mich auch dafür, dass ich seit 287 Tagen mein Schrittziel erreiche. Mein Schrittziel von 1000 Schritten. Eintausend. Nicht die üblichen Zehntausend.

Ich liebe Herausforderungen und als ich das erste Mal einen Fitnesstracker hatte, war die Vorgabe von 10000 Schritte für mich hoch motivierend. Ich wollte unbedingt diese 10000 Schritte laufen, wollte mein Schrittziel erfüllen und das jeden Tag. Ich weiß noch, wie ich auf dem Parkplatz des Supermarktes auf und ab gelaufen bin, um auf meine 10000 Schritte kommen – und noch mehr erinnere ich mich daran, wie gestresst ich war, wann immer ich nicht einmal in die Nähe dieser 10000 Schritte kam.

Nach wenigen Tagen schon war die Menge der Schritte keine Motivation mehr für mich, sondern eine ewige Drohkulisse: „Wenn du es nicht schaffst, 10000 Schritte zu machen, dann verlierst du deine Siegessträhne!“ Ich war gestresst, habe mit mir selbst verhandelt, wie schlimm es ist, diese Siegessträhne zu verlieren, mich dazu gezwungen, doch noch eine Runde zu drehen, obwohl ich überhaupt nicht wollte, nur, damit der Schrittzähler zufrieden war. Ging es mir nicht gut und konnte ich mich kaum bewegen, drehten sich meine Gedanken den ganzen Tag darum, wie sich das auf meinen Fitnesstracker auswirken würde und ich war noch verzweifelter als sowieso schon.

Nach einer Weile habe ich schließlich die Schrittanzahl reduziert, zwischendurch sogar bis auf 500, bis ich sie dann irgendwann auf 1000 gestellt habe. 1000 Schritte, das schaffe ich jeden Tag, meistens sogar noch am Vormittag und auch an den Tagen, an denen es mir nicht gut geht und an denen ich mich eigentlich nur vom Bett auf die Couch und von der Couch ins Badezimmer und zurück schleppe. 1000 Schritte, das ist einfach und es ist keine Herausforderung.

Für die meisten Menschen ist das absurd, denn genau diese Herausforderung ist ja das, weswegen man überhaupt einen Schrittzähler verwendet. Es ist das, was einen dazu motiviert, mehr Schritte zu machen. Es ist durchaus gewollt, dass es so funktioniert, dass man abends erschrocken feststellt, dass das Schrittziel ja noch gar nicht erreicht ist und dann noch rasch ein paar Schritte macht, damit der Schrittzähler zufrieden ist – und man selbst auch, denn man hat sein Tagesziel erfüllt.

Natürlich ist das großartig. Die 10000 Schritte sind voll, man hat sich bewegt und das Ziel erreicht, nur… ist das wirklich die Form von Motivation, die gut für uns ist?

Ein hoch gestecktes Ziel, das schwierig zu erreichen ist, ist keine positive Motivation, sondern verursacht in erster Linie Druck und Stress, oft auch noch kombiniert mit Versagensangst.

Fitnesstracker sind dafür ausgelegt, dieses Versagen zu dokumentieren, dir mitzuteilen, dass du am Sonntag aber nicht besonders fleißig warst oder am Mittwoch dein Schrittziel nicht erreicht hast. Du warst nicht gut genug – und sogar deine Elektronik weiß es und teilt dir das mit. Das soll dich dazu motivieren, dich mehr zu bemühen. Vielleicht wirst du dadurch sonntags eine Extrarunde drehen, um damit den Schrittzähler davon zu überzeugen, dass du doch fleißig bist – und vielleicht überzeugst du ja auch dich, dass du sehr wohl gut genug, fleißig genug, fit genug bist, wenn es sogar dein Fitnessarmband sagt.

Vielleicht geht dir das alles aber auch so auf die Nerven, dass du den Schrittzähler immer seltener tragen und ihn schließlich in einer Schublade „vergessen“ wirst, weil du dich einfach nicht länger von einem Gegenstand stressen lassen möchtest und du bist damit nicht allein: Statistisch gesehen lässt die Anfangsmotivation schon nach etwa fünf Wochen nach und nach drei bis sechs Monaten haben die meisten endgültig genug vom Fitnesstracker.

Ich glaube, das ist bei vielen Dingen so, die man nutzt, um sich zu verbessern. Am Anfang ist man hochmotiviert, will am liebsten die Anforderungen einer ganzen Woche an nur einem Tag erledigen, brennt geradezu danach, etwas zu tun, vielleicht eine Belohnung in Form eines Badges oder eines Lobs der App zu bekommen und nach einer Weile stellt man fest, dass diese ganzen schönen Anforderungen doch zu viel sind. Dann bemüht man sich noch eine Weile, sie dennoch zu erfüllen – schließlich hat man ja einen Grund dafür -, bis man es entweder immer häufiger nicht schafft und deswegen frustriert ist und sich Selbstvorwürfe macht oder es gelingt einem, einen klaren Schlussstrich zu ziehen und bewusst damit aufzuhören.

Mir ging das mit den 10000 Schritten genau so. Am Anfang wäre ich am liebsten 15000 gelaufen oder noch mehr, dann wurde es immer schwieriger, die 10000 zu schaffen, dann folgte der erste Tag, an dem es nicht klappte und ich war verzweifelt, schämte mich und ärgerte mich über mich, hatte die besten Absichten und trotzdem funktionierte es bald schon wieder nicht und ich ärgerte mich noch mehr und wollte die Smartwatch gar nicht mehr so recht tragen. Trug ich sie doch, machte ich mir automatisch Stress.

Geholfen hat mir tatsächlich die Reduktion der Schritte. Im Durchschnitt komme ich auf etwa 6000 bis 7000 Schritte pro Tag. Da sind Tage mit 2000 Schritten ebenso dabei wie solche mit 15000 oder mehr Schritten.

Man kann jetzt natürlich argumentieren, dass ich ganz offensichtlich nicht auf 10000 Schritte am Tag komme und mutmaßen, dass das an der fehlenden Motivation liegt, der Punkt ist aber: Diese Form von „Motivation“ war für mich das genaue Gegenteil. Zu wissen, dass mich 10000 Schritte pro Tag regelmäßig überfordern und ich dann jedes Mal von mir selbst enttäuscht bin, hat mich massiv demotiviert. Meine 1000 Schritte sind vielleicht keine Motivation zu mehr Schritten, aber sie sind vor allem auch keine Demotivation, die mich Tag für Tag frustriert, mein Selbstwertgefühl schmälert und mich gänzlich davon abbringt, mich mehr als notwendig zu bewegen.

Es heißt immer, Menschen mit ADHS werden durch Herausforderung motiviert und ich würde das sofort unterschreiben. Was aber oft unterschlagen wird: Wir werden genauso leicht durch etwas (auch nur scheinbar) Unerreichbares demotiviert! Wir müssen Herausforderungen finden, die für uns machbar sind – es reicht noch nicht einmal, einfach nur daran zu glauben, dass wir es könnten, denn wenn wir scheitern, verlieren wir oft sofort jegliche Motivation.

Herausforderungen dürfen und sollen herausfordernd sein, aber sie sollen nicht überfordern. Nur dann funktionieren sie als Motivation.

Produktivität bringt dir nichts oder: Warum ich Produktivitätstipps hasse

Produktivität bringt dir nichts oder: Warum ich Produktivitätstipps hasse

25. April 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

Ich hasse Produktivitäts- und Selbstoptimierungstipps. Also eigentlich hasse ich gar nicht die Tipps an sich – manche sind tatsächlich hilfreich -, sondern vielmehr das, was sie einem vermitteln: Dieses permanente Gefühl, nicht gut genug zu sein, verbunden mit der Botschaft, sich einfach mehr anstrengen zu müssen. Darin schwingt immer das stille Versprechen mit: „Wenn du DAS tust, dann wird dein Leben besser! Noch diese eine Maßnahme und du wirst erfolgreich, berühmt und schön und schwimmst in Geld!“ Wirst du nicht und irgendwo weißt du das auch, aber dennoch regt sich die Hoffnung in dir: „Es könnte doch dieses Mal so sein?“

Kein Wunder, dass ganze Ratgeber darüber geschrieben werden, dass „erfolgreiche“ Menschen regelmäßig nach ihren Geheimtipps gefragt werden – oder sie ganz ungefragt geben – oder dass man mit all den Infografiken zum Thema Selbstoptimierung und Produktivitätssteigerung vermutlich ganze Städte tapezieren könnte.

Die meisten dieser Tipps sind recht klein, schlicht und allgemeingültig und ich dachte daher immer, es wäre meine Schuld, dass ich immer noch nicht erfolgreich war und maximal meine große Zehe in Geld baden konnte. Sicher lag es daran, dass ich sie nicht konsequent genug befolgte, nicht hart genug an mir arbeitete und mein Glas Wasser morgens immer vergaß. /s (Tonindikator: Sarkasmus)

Entsprechend erfreut war ich also, als ich das erste Mal auf Tipps speziell für Menschen mit ADHS stieß: „Juchu! Endlich gibt es auch Menschen, die meine Probleme berücksichtigen!“ Ich erfuhr, dass ich mit Timern arbeiten sollte, meine Termine in einen Kalender eintragen sollte, To-Do-Listen schreiben, Aufgaben zerlegen und strenger mit mir sein sollte. „Hm“, dachte ich mir, „hatten wir das nicht alles schon?“

Zusätzlich tauchten jetzt aber auch Tipps auf, wie ich Putzen und Aufräumen organisieren sollte, wie ich auch meine privaten Termine in strikt geführte Kalender eintragen sollte, mein Leben besser durchtakten sollte und was ich tun konnte, um weniger häufig Dinge zu verlegen und zuverlässiger in meiner Kommunikation mit Freund*innen zu sein. Die Produktivitätsanforderungen hatten eindeutig auch das Privatleben erreicht.

Erst wollte ich unbedingt all diese Tipps ausprobieren, wollte eine bessere Freundin und Partnerin, ein besserer Mensch sein… und dann wurde ich wütend.

All diese Selbstoptimierungstipps und Produktivitätsratgeber gaukeln uns vor, dass es unser oberstes Ziel ist, besser zu werden. Konstant. Noch dazu nicht nur in den Dingen, die uns vielleicht tatsächlich an uns stören, sondern einfach in allem, schlichtweg weil es möglich ist und weil sich jemand einen Tipp dafür überlegt hat.

Bei mir – wie bei vielen Menschen mit ADHS – stößt das auf offene Ohren, denn wir haben oft von klein auf gelernt, dass wir ja so viel Potential hätten, es nur leider nicht ausschöpfen würden und uns eben mehr anstrengen müssten. Wir könnten ja so viel erreichen, wenn wir nur mehr an uns arbeiten würden. Wir könnten so viel bessere Kinder, Freund*innen, Partner*innen, Menschen sein, wenn wir uns einfach nur mehr Mühe geben würden.

Ich glaube mittlerweile, dass ich mich mein ganzes Leben mit Produktivitätstipps beschäftigt habe, um „besser“ zu werden und dieses ominöse Potential zu erfüllen, das andere in mir zu sehen meinten. Irgendwann wurde dieser Glaube, dann zu meinem eigenen und ich sagte mir beständig, dass ich mich mehr und immer mehr anstrengen, mein „Potential“ endlich mal ausschöpfen müsste und machte mir die größten Vorwürfe, dass ich es nie schaffte. Also habe ich den nächsten Produktivitätstipp probiert und den nächsten und den nächsten. Gut genug fühlte ich mich dadurch immer noch nicht.

Genau das ist das Perfide an Produktivitätstipps und Selbstoptimierungsratgebern: Für sie sind wir nie gut genug. Wir können immer noch etwas verbessern und danach noch etwas und selbst wenn wir denken „Jetzt reicht es aber mal“, zeigt uns gleich darauf jemand, dass es doch nicht reicht, weil wir noch nicht das neueste Selbstoptimierungs-Allheilmittel ausprobiert haben und das wäre schließlich der ultimative Tipp!

Unser Drang zu mehr Produktivität und Selbstoptimierung führt am Ende vor allem zu zwei Dingen: Jede Menge Stress und ein reduziertes Selbstwertgefühl.

Ich habe irgendwann aufgehört, produktiver und erfolgreicher sein zu wollen. Auch die Jagd nach meinem angeblichen Potential habe ich aufgegeben. Ich versuche heute nur noch, der Mensch zu sein, mit dem ich mich wohlfühle.

Ich lese immer noch Produktivitätstipps, vor allem jene für Menschen mit ADHS, denn manche davon greifen tatsächlich das auf, was auch ich probiere: MIT dem eigenen Gehirn, der eigenen Denkweise, den eigenen Schwächen zu arbeiten, anstatt dagegen anzukämpfen.

Es geht nicht darum, sich immer noch mehr anzustrengen und zu bemühen und einem unerreichbaren Ideal hinterherzulaufen, sondern darum, herauszufinden, was man tatsächlich braucht und möchte: Im Job, im Privatleben, im Zuhause, in der Partnerschaft… – und was realistisch erreichbar ist. Und dann geht es darum, für sich selbst Wege zu finden, das alles möglichst leicht und mit wenig Aufwand langfristig umzusetzen, denn – große Überraschung: Umso WENIGER man sich in seinem Alltag anstrengen und bemühen muss, umso mehr Energie hat man für das, was man liebt, wofür man brennt und wofür man gerne diese Energie einsetzen möchte – und das ist bei mir nun mal einfach nicht „erfolgreich sein“.

Produktivität an sich bringt dir nichts. Sie macht dich nicht zu einem „besseren“ Menschen und sie wird dich auch nicht reich und berühmt machen und an dir selbst zu arbeiten ist zwar toll, aber du musst dich nicht „optimieren“ – es gibt keine Blaupause dafür wie du sein sollst.

Gute Produktivitätstipps machen deinen Alltag besser und einfacher und das bringt dir mehr als jede noch so große Produktivität.

Studium mit Neurodivergenz
Unterstützung beim Studium mit Neurodivergenz

Unterstützung beim Studium mit Neurodivergenz

19. April 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

Ich habe dreimal studiert – ohne auch nur einen Abschluss zu haben.

Das erste Mal war direkt nach dem Abi an einer regulären Präsenzuni. Ich wusste nichts über meine Neurodivergenz und dass sie mir Probleme beim Studium bereiten könnte und es war furchtbar für mich. Zwei Jahre lang war ich ständig im Overload, hatte dauernd Panik und habe jeden Moment des Studiums gehasst. Dann habe ich es aufgegeben und mich als gescheitert betrachtet. Ich fühlte mich als totale Versagerin.

Ein paar Jahre danach wollte ich es noch einmal probieren. Über meine Neurodivergenz wusste ich immer noch nicht mehr, aber mir war klar, dass ein klassisches Präsenzstudium für mich nicht funktionieren würde, also probierte ich es an einer Fernuniversität. Ich habe nicht einmal das erste Semester geschafft. Der riesige Stapel an Unterlagen überforderte mich vom ersten Moment an und ich habe nie auch nur eine Stunde damit verbracht. Der Eindruck, eine Versagerin zu sein, festigte sich und ich schämte mich endlos.

Ein Jahrzehnt später der dritte Anlauf. Endlich hatte ich zumindest akzeptiert, dass ich neurodivergent bin, verstand aber immer noch nicht, was das tatsächlich bedeutete. Nach langem Überlegen entschied ich mich für ein Studium an der Open University. Ich hatte mehrfach von Autistinnen gelesen, die dort gut zurecht gekommen waren, weil die Universität hervorragend auf behinderte Studierende ausgelegt ist und ich dachte mir: „Vielleicht gelingt es mir ja dort. Vielleicht bin ich doch keine Versagerin.“

Die Open University ist in Großbritannien und komplett auf ein berufsbegleitendes, kostenpflichtiges Online-Studium ausgelegt. Der Großteil der Veranstaltungen findet online statt (es gibt ein paar Ausnahmen, wo es auch Präsenzseminare gibt). Es gibt Internetseiten mit dem Kursmaterial (in Wocheneinheiten aufgeteilt, so dass man nie überfordert ist), kleine Studierendengruppen, die von einem Tutor oder einer Tutorin betreut werden, ein Forum für Kursaufgaben und allgemeinen Austausch. Man schreibt (benotete) Hausarbeiten und reicht sie online zur Korrektur ein. Außerdem gibt es Video-Sessions zu einzelnen Themenblöcken, die zur Vorbereitung auf die Hausarbeiten und Klausuren dienen (in meinem Modul waren sie freiwillig und wirklich hilfreich).

Für einen Bachelorstudiengang rechnet die Open University mit 3 Jahren Vollzeit oder 6 Jahren Teilzeit, man kann die Dauer aber durch die Kurswahl beeinflussen. Für den Bachelorabschluss benötigt man 360 Credits. Die Module dauern jeweils ein Jahr (von Oktober bis Mai/Juni), geben 60 Credits und kosten umgerechnet etwa 4000 Euro (Es gibt auch Module mit nur 30 Credits, die dann entsprechend günstiger sind). Ein ganzes Studium kommt also auf über 20.000 Euro und ja, das ist eine ganze Menge Geld. Mein Plan war es, das Studium so weit wie möglich zu strecken, um die Kosten über einen längeren Zeitraum aufzuteilen.

Zuerst wollte ich aber wissen, ob das überhaupt für mich funktionieren würde, oder ob ich erneut am Thema „Studium“ scheitern würde – ewige Versagerin, als die ich mich fühlte.

Ich begann also mit einem 30-Credit-Modul (English for Academic Purposes) und war noch vor dem eigentlichen Studienbeginn total begeistert von der Open University!

Die Open University hat ein Disability Support Team, das darauf spezialisiert ist, Studierenden mit Behinderungen zu helfen. Als Student*in füllt man ein Onlineformular aus, in dem man die eigenen Behinderungen angeben und erläutern kann und stellt eine Bescheinigung über die Diagnose zur Verfügung. Das Team meldet sich dann mit Rückfragen und erstellt entsprechend der jeweiligen Bedürfnisse eine Dossier mit den möglichen bzw. empfohlenen Unterstützungen und Erklärungen zur Behinderung.

Schon bei den Rückfragen habe ich mich sehr stark angenommen und gut aufgehoben gefühlt, denn die Rückfrage kam per E-Mail und fragte explizit nach, ob ein telefonisches Gespräch für mich in Ordnung wäre, oder ob ich lieber ausschließlich schriftlich kommunizieren würde. Stell dir vor, wie erstaunt ich war, dass eine Institution von sich aus, so etwas anbietet!

Ich bat um Kommunikation ausschließlich per E-Mail und das wurde auch direkt in mein Dossier aufgenommen, so dass ich keinerlei Anrufe von der Universität bekommen würde, so lange ich nicht vorher zustimmen würde. Was für eine Erleichterung für mich!

Die Mitarbeiterin vom Disability Support bat mich dann noch um ein paar zusätzliche Informationen, wie zum Beispiel etwaige Trigger für meine Posttraumatische Belastungsstörung oder welche expliziten Probleme ich durch meine diversen Behinderungen im Studium voraussichtlich haben könnte. Daraus hat sie dann mein Dossier erstellt, auf das meine Tutor*innen Zugriff bekommen, um mich entsprechend unterstützen zu können.

Mich hat das Dossier total umgeworfen – im positiven Sinne! Es gab zum Teil Hinweise auf kleinste Unterstützungen, bei denen mir sofort klar war, was für einen großen Unterschied sie für mich machen würden. Andere Hilfsmaßnahmen fand ich zunächst unnötig, stellte aber später fest, wie sehr sie mir tatsächlich helfen konnten. Dieses Dossier war für mich der allergrößte und -beste Schubs, um meine Neurodivergenz tatsächlich anzunehmen!

Ich teile hier (übersetzte) Auszüge daraus, weil ich mir denke, dass sie auch für andere hilfreich sein könnten. Vielleicht bist du ja auf der Suche nach möglichen Anpassungen für dich und deinen Autismus oder deine ADHS.

  • Claudia bittet darum, dass jeglicher Anfangskontakt per E-Mail erfolgt.
  • Sie würde von regelmäßigem, von ihrem Tutor/ihrer Tutorin iniziierten Kontakt profitieren, da es ihr schwerfällt, selbst mit anderen in Kontakt zu treten.
  • Claudia hat Schwierigkeiten mit Audio- und Videomaterial und bevorzugt schriftliche Informationen. [Die Open University bietet standardmäßig Transkripte für alle Audios und Videos an.]
  • Kommunikation mit anderen und Gruppenarbeiten sind sehr stressig für Claudia. Es könnte hilfreich für sie sein, vor oder nach einer Gruppenarbeit ein Einzelgespräch mit ihr zu führen.
  • Bitte unterstützen Sie sie bei der Teilnahme an Foren- und Gruppenaktivitäten. Schon etwas Ermutigung könnte positive Auswirkungen für sie haben.
  • Es ist möglich, dass Claudia bei Videokonferenzen ihr Mikrofon und ihre Kamera abschaltet.
  • Claudia fühlt sich vermutlich unwohl, wenn sie das Zentrum der Aufmerksamkeit ist. Achten Sie besonders bei Vorstellungsrunden oder „ice breaker“-Aktivitäten darauf.
  • Möglicherweise ist es hilfreich für sie, wenn sie die Sicherheit erhält, dass nicht von ihr erwartet wird zu reden, bis sie sich dazu in der Lage fühlt.
  • Claudia würde davon profitieren Tutorialnotizen bereits im Voraus zu erhalten um diese in Ruhe zu lesen und aufzunehmen.
  • Darüberhinaus benötigt sie schriftliche Aufzeichnungen aller Veranstaltungen, die sie möglicherweise nicht besuchen kann.
  • Bitte beraten Sie sie dabei, wie sie sich auf das Lesen essentiell notwendiger Informationen beschränken kann, um ihr Energielevel zu schonen.
  • Claudia benötigt frühzeitige Informationen über Termin- oder Ortsänderungen.
  • Es ist wichtig, Erwartungen klar zu definieren und davon auszugehen, was vernünftigerweise erwartet werden kann, anstatt ein Ideal zu formulieren.
  • Aufgrund ihrer Neurodivergenz kommt es leicht zu Missverständnissen bei Fragen und Feedback, weswegen diese zu jeder Zeit klar und präzise formuliert werden.
  • Vermeiden Sie wenn möglich Witze und Sarkasmus und geben Sie direkte Erklärungen. Bemühen Sie sich, zweideutige Sprache zu vermeiden.
  • Claudia ist übermäßig selbstkritisch, was zu Angstzuständen bei Bewertungen führen kann. Geben Sie konstruktives Feedback, heben Sie ihre Stärken hervor und weisen Sie sie darauf hin, wie sie sich weiter verbessern kann, anstatt ihre Schwächen aufzuzeigen.
  • Claudias Behinderungen können zu Erschöpfungszuständen und Konzentrationsproblemen führen.
  • Tutorinnen und Tutoren werden darum geben, Claudia dabei zu unterstützen, Strategien für ihren Studienablauf zu entwickeln. Das beinhaltet Beratung zur Prioritätensetzung im Studienmaterial, zum Umgang mit eventuell triggernden Themen (und möglichen Ersatz dafür), individuelle Support Sessions, sowieso gelegentliche – vorher abgesprochene – Verlängerung von Abgabefristen.
  • Es könnte dazu kommen, dass Claudia nicht in der Lage ist, mit der Universität zu kommunzieren. Für diesen Fall ermutigen wir sie, einen Vertreter zu benennen, der in ihrem Namen mit der Universität kommunizieren kann.
  • Bei Vor-Ort-Veranstaltungen ist es möglich, dass Claudia eine Begleitperson mitbringt.

Nicht alles davon wurde dann im Studium von meiner Tutorin tatsächlich beachtet. Ich habe mich zum Beispiel bei Gruppenarbeiten tatsächlich sehr hilflos und verloren gefühlt. Ich fand aber ihr direktes Feedback zu meinen Arbeiten sehr gut und sie hat sich auch die Zeit genommen, es persönlich mit mir zu besprechen und eventuelle Fragen zu klären.

Ich hatte enorm viel Spaß an meinem Modul und den Studieninhalten. Die Gruppenaktivitäten im Forum mochte ich nicht sehr, was aber zum Teil auch an meiner Gruppe lag. Am meisten habe ich das Anfertigen der Hausarbeiten genossen. Dieses tiefe Eintauchen in ein Thema/einen Text, das Nachvollziehen von Sachverhalten und Ausformulieren meiner Gedanken war großartig.

Aus psychischen und finanziellen Gründen habe ich mein Studium nach diesem einen Modul pausiert. Ich werde es voraussichtlich auch nicht wieder aufnehmen. Dieses Mal aber nicht, weil ich daran gescheitert wäre oder mich als Versagerin betrachten würde, sondern weil mir dieses eine Studienjahr alles gegeben hat, was ich für mich gebraucht habe: Die absolute Gewissheit, dass ich studieren kann.

Menschen, die mit dem, was für die Mehrheit gut funktioniert, nicht zurechtkommen, profitieren enorm von – teils unheimlich kleinen! – Anpassungen. Es ist nur schwierig, sie selbst zu benennen, wenn man gar nicht weiß, was möglich ist. Vielleicht hilft dir die Liste an Unterstützungen für mich ja dabei, für dich selbst die richtigen Akkommodationen zu finden. Viel Erfolg dabei!

Abwechslung und Routine - Autismus trifft ADHS
Abwechslung und Routine – wenn ADHS auf Autismus trifft

Abwechslung und Routine – wenn ADHS auf Autismus trifft

18. April 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

Routinen sind schwierig für mich. Oder nein, eigentlich sollte ich sagen: Routinen, die mir keinen Spaß machen, sind schwierig für mich. Okay, auch mit Spaß laufen Routinen nicht so richtig perfekt, denn mein ADHS-Hirn liebt nun mal Abwechslung und Neues und Routinen sind genau das nicht – und sollen es auch gar nicht sein.

Jetzt ist es aber so, dass mein Kopf nicht nur Abwechslung liebt, sondern durchaus auch Gewohntes und Vertrautes – ADHS trifft Autismus. Gibt es zu viele Veränderungen in meinem Alltag, werde ich nervös und unausgeglichen. Noch schlimmer, wenn ich nicht selbst darüber bestimmen kann. Die Abwechslungen sind dann nicht mehr wünschenswert und belebend, sondern bedrohlich und angsteinflößend. Ich kann mich dann nicht mehr konzentrieren, werde fahrig und schreckhaft, befürchte immer das Schlimmste und habe konstant unspezifische Befürchtungen, denn: „Wer weiß, was noch alles passieren könnte!“

Ich brauche Dinge und Abläufe, die sich nicht verändern, sondern vorhersagbar und bekannt sind und mir durch diese Gleichförmigkeit Sicherheit bieten. Ich brauche… Routinen.

Aber da ist ja noch die andere Seite in mir. Die Seite, die Neues, Aufregung, Abwechslung braucht und wenn sie es nicht bekommt, ähnlich heftig reagiert. Gibt es zu wenig Veränderung in meinem Alltag wird das Bedürfnis danach immer drängender, aufgeregter, lauter. Die Gedanken drehen sich nur noch darum und werden dabei schneller und immer schneller. Der Druck nimmt beständig zu. Ich brauche Neues. Dringend! Alles in mir schreit und drängt auf eine Erfüllung des Bedürfnisses. Es nimmt allen Raum in mir ein, belegt jeden Gedanken, beeinflusst jede Entscheidung. Es ist auf seine ganz eigene Art nicht weniger beängstigend.

Mein Ziel ist es, beiden Seiten gerecht zu werden: Das richtige Maß an Neuem und Vertrautem, an Abwechslung und Routine.

Dieses Gleichgewicht zu finden ist nicht immer einfach, denn eine Unmenge an Faktoren spielt dabei eine Rolle – und ich kenne sie weder alle, noch lassen sie sich zur Gänze von mir beeinflussen. Es ist also eher eine Sache von „Versuch und Irrtum“ und klappt mal besser und mal schlechter. Ein paar dieser Faktoren habe ich aber für mich ausgemacht.

Vertraute Abläufe und Dinge

Alles, was ich regelmäßig mache, sollte für mich immer in einem ähnlichen Rahmen ablaufen und vertraute Orte und/oder Gegenstände beinhalten. Zum Beispiel:
Wocheneinkauf: Wenn möglich am gleichen Tag, zu einer ähnlichen Uhrzeit und in einem von drei oder vier möglichen Läden, wo ich dann alles in der gleichen Reihenfolge erledigen kann.
Zähne putzen: Bitte immer mit der gleichen Zahncreme. Überhaupt bin ich sehr produktfixiert: Ich suche erst ewig nach dem perfekten Produkt und kaufe dann immer genau dieses nach. Gerne auch sicherheitshalber in größeren Mengen, weil es ja aus dem Sortiment genommen werden könnte.
Brauche ich etwas außer der Reihe, kann ich das nur an einem Tag holen, an dem ich genügend Kapazitäten für diese Veränderung habe – oder ich bestelle es (wenn möglich) online.
Die gewohnten Abläufe tragen sehr stark dazu bei, dass ich genügend Vertrautes in meinem Leben habe. Entsprechend gestresst reagiere ich hier auf Veränderungen.

Kein Einfluss bedeutet mehr Stress

Wenn ich mit Veränderungen konfrontiert werde, die ich nicht beeinflussen kann, reagiere ich extrem schnell stark gestresst. Umso mehr sich also durch andere an meinem gewohnten Ablauf ändert, umso weniger komme ich damit klar und umso mehr muss ich mit mehr Ruhe und weniger Abwechslung in anderen Bereichen ausgleichen. Die wechselnden Homeoffice-Regelungen bei meinem Ehemann sind zum Beispiel ein großer Stressfaktor für mich und ich benötige bei jedem Wechsel mehrere Wochen, um mich darauf einzustellen. In dieser Zeit habe ich deutlich weniger Energie und kann nur schwer Neues anfangen oder Veränderungen auch nur überdenken. Kann ich Veränderungen jedoch selbst in Gang setzen, führen sie zu deutlich weniger Stress und erfüllen eher das Bedürfnis nach Abwechslung.
Ich hoffe immer auf möglichst wenig Veränderung von außen, weil es mir mehr Spielraum für eigene Veränderungen gibt.

Routinenabläufe

Es fällt mir grundsätzlich leichter, wenn eine Routine in einen Ablauf eingebettet wird anstatt an einen bestimmten Tag oder eine bestimmte Uhrzeit gebunden zu werden. Ich lade zum Beispiel jedes Wochenende unsere elektrischen Zahnbürsten. Ich mache das aber nicht, weil es Samstag oder Sonntag ist, sondern weil wir mir ein paar Marker sagen, dass Wochenende ist: Wir schlafen aus, ich bin meistens die erste im Badezimmer, der Ehemann ist zuhause (Homeoffice-Verwirrung vorprogrammiert). Genau so funktioniert Spazierengehen für mich am Besten (und eigentlich auch nur dann), wenn ich direkt nach dem Aufstehen in Klamotten und Schuhe schlüpfe und losgehe. Mache ich erst das Bett oder entsperre auch nur das Handy, funktioniert das ganze Spazierengehen nicht mehr.
Wenn ich tatsächlich bewusst eine neue Routine etablieren möchte, arbeite ich meistens mit Routinenabläufen und schaue, wo ich meine Routine „andocken“ kann.

Abwechslungsreiche Routinen

Es gibt durchaus die Möglichkeit Routinen und Abwechslung zu kombinieren. Die beste Möglichkeit, die ich bisher dafür gefunden habe, sind für mich Spaziergänge. Ich bin auf meinen Spaziergängen meistens auf der selben Strecke unterwegs, was mir Sicherheit und Ruhe gibt. Gleichzeitig ist es aber so, dass die Natur selbst sich pausenlos verändert – es ist anderes Wetter, irgendwo wachsen Blumen oder mir begegnen Tiere. So bekomme ich selbst auf der immer selben Strecke jede Menge Abwechslung. Und wenn ich mehr Abwechslung möchte oder brauche, gibt es noch meine alternativen Wege. Nach etwa 1,5 km kommt eine Stelle, an der ich mich entscheiden kann, ob ich den gewohnten Weg nehmen möchte, oder meine Strecke etwas verändern will. Nach einem weiteren Kilometer auf dem Standardweg gibt es wieder so eine Stelle und später noch einmal. Ich entscheide mich manchmal für eine der Alternativen, aber auch, wenn ich das nicht tue, ist mein Bedürfnis nach Abwechslung beruhigt, weil ich ihm die Möglichkeit gegeben habe, sich zu melden und es berücksichtigt hätte.
Für mich ist das die beste Möglichkeit meine unterschiedlichen Bedürfnissen bewusst gleichzeitig zu befriedigen und ich schaue oft, wo und ich welchem Maß ich Abwechslung in Routinen integrieren kann.

Trotz dieses Wissens habe ich natürlich Phasen, wo ich es nicht schaffe, die Bedürfnisse beider Seiten zu erfüllen. Gerade wenn viele Veränderungen von außen kommen ist es sehr schnell sehr schwierig für mich und ich kämpfe dann massiv mit den Auswirkungen, die auch dazu führen können, dass ich tagelang komplett überlastet bin und kaum noch etwas machen kann. Der umgekehrte Fall tritt seltener ein. Wenn ich Abwechslung oder Neues bräuchte, es aber durch äußere Umstände nicht möglich ist, kann ich das meistens viel länger verkraften – auch, weil mir winzige Veränderungen oft schon reichen.

Ich empfinde meine unterschiedlichen Bedürfnisse sehr stark wie zwei Freunde, die gegenseitige Zugeständnisse machen, um eine schöne gemeinsame Zeit verbringen zu können. Meistens klappt das.

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