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My neurodivergent life is a piece of art

Ich bin behindert

Ich bin behindert

3. Dezember 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

CN: Ableismus

Der 3. Dezember ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Ich wusste das nicht und das klingt vielleicht seltsam, denn in den letzten Monaten habe ich gelernt, mich selbst so zu bezeichnen: Behindert.

Immer noch kämpfe ich damit, halte mich für die Selbstbezeichnung an manchen Tagen für arrogant und unverschämt, finde mich „nicht behindert genug“ und so, als würde ich übertreiben. Ich habe keine sichtbare Behinderung. Ich humple manchmal wegen meines Bandscheibenvorfalls, ja, aber sonst sieht man mir nicht an, was mich behindert macht – und selbst das Humpeln versuche ich zu vermeiden, denn: Es könnte ja wem auffallen.

Ich fühle mich privilegiert dadurch. Ich werde nicht wegen meiner Behinderung angestarrt, bekomme keine zu neugierigen Rückfragen, kann fast ganz unauffällig sein, wenn ich das möchte und selbst bestimmen, wofür ich auffallen will, wenn ich auffallen will. Kein Mensch nimmt mir diese Entscheidung einfach ab, weil ich körperlich anders wirke als er und er denkt, dass es dadurch zu meiner Pflicht wird, ihn darüber aufzuklären, warum ich denn so anders bin – also bis auf manchmal, wenn die Menschen denken, dass es sie etwas angeht, dass ich dick bin und doch ist das anders.

Wenn die liebe Freundin mir erzählt, dass sie schon wieder in der Bahn angestarrt wurde oder zu einer Veranstaltung nicht gehen möchte, weil sie nicht abschätzen kann, ob dort ihre Bedürfnisse mitgedacht werden, fühle ich zunächst Scham. Scham darüber, nicht daran gedacht zu haben und auch zu denen zu gehören, die sie nicht mitdenken – und dann fällt mir ein, dass ich zum Teil deswegen nicht bewusst daran denke, weil ich das, was sie erzählt, auch irgendwie kenne und als „normal“ empfinde.

Es ist anders bei mir und ich bin mir viel zu oft nicht bewusst, wo genau ihre Schwierigkeiten liegen, und doch gibt es Gemeinsamkeiten, ein ähnliches Erleben, ähnliche Kämpfe, ähnliches Verpassen und Vermeiden – all das, was Behinderung mit uns macht. Mit mir, mit der lieben Freundin und all den anderen Menschen, die auf die eine oder andere Art behindert sind.

Ich bin grundsätzlich ungern in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Es ist anstrengend, wenn viele Menschen um mich herum sind. Ihre Blicke machen mir Angst, ihr Gelächter und ihr Getuschel. Ich will auch nicht die vorwurfsvollen Mienen sehen, weil ich einen Sitzplatz nutze, obwohl ich dick bin. Lieber stehe ich, vor Schmerzen schwitzend, klammere mich an einen Haltegriff und konzentriere mich auf meinen Atem, immer voller Angst, dass die Schwärze vor meinen Augen mich doch noch umwerfen könnte.

Aber ich muss mir zumindest keine Gedanken darüber machen, ob ich das Verkehrsmittel überhaupt betreten werde können…

Letztens wollte ich einen Workshop besuchen. Weidenflechten. Ich habe mich nicht einmal getraut, mich anzumelden, denn neben der Tatsache, dass fremde Menschen immer schwierig für mich sind und ich in sozialen Situationen große Probleme habe, war mir auch nicht klar, wie ich das machen sollte, dort mehrere Stunden eine körperliche Tätigkeit zu verrichten. Ich bräuchte wahrscheinlich alle 30 Minuten eine Pause, müsste mich hinlegen, weil ich mit Schwindel und Schmerzen zu kämpfen habe und würde den ganzen Workshop aufhalten, weil ich… behindert bin. Aber naja, dann besuche ich den Workshop eben nicht, macht ja nichts.

Und doch: Es MACHT was!

Es macht was mit mir, dass ich nicht einfach so mit einem Bus fahren kann, dass ich nicht einfach so zu einem Vortrag oder einem Workshop gehen kann, dass ich nicht einfach so an unbekannte Plätze gehe, weil ich nicht weiß, was mich dort erwartet und ob ich dort klarkommen werde, ob die Menschen dort Masken tragen werden und auf Abstand achten werden. Es macht etwas mit mir, dass ich mir vor jeder noch so kleinen Unternehmung überlegen muss, ob sie für mich geeignet sein wird, oder ich mich zumindest so weit anpassen können werde, dass ich sie durchhalten kann. Ob sie dann noch Spaß macht, mal vollkommen dahingestellt.

Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie es ist, einfach irgendwo hinzufahren, eine Reise zu buchen, an einer Veranstaltung teilzunehmen oder einen Ausflug zu machen. Ja, das ist bei mir aus anderen Gründen als bei jemandem, dessen Rollstuhl oder Sehbehinderung mitbedacht werden muss, aber am Ende bin ich dennoch behindert.

Ich muss immer meinen körperlichen und psychischen Zustand mitbedenken, meine Energie, meine Aufgaben für die nächsten Tage und Wochen, meine Leidensfähigkeit, meine sozialen Fähigkeiten, mein Durchhaltevermögen, auch in Bezug auf Reize und Menschen. Ich muss Wochen im Voraus planen – und gleichzeitig immer bereit sein, im letzten Moment die Pläne umzuwerfen, weil es dann doch nicht geht.

Sind andere Menschen involviert, meide ich Pläne dann oft komplett. Ich möchte nicht ständig im letzten Moment absagen, will nicht, dass andere auf mich Rücksicht nehmen müssen, möchte ihnen nicht das Gefühl verleihen, dass sie mir nicht so wichtig sind, dass ich mich nicht einfach „ein bisschen zusammenreiße“. Wie sollte ich ihnen auch erklären, dass es eben nicht „ein bisschen zusammenreißen“ ist, sondern weit über meine Grenzen gehen, tagelang NICHTS mehr machen können und zwar wirklich nichts. Gar nichts.

„Nichts machen“ bedeutet für andere Menschen, dass sie nichts „Sinnvolles“ machen. Sie lesen dann vielleicht, basteln, backen, schauen fern, treffen sich mit Freund*innen. „Nichts“. Mein Nichts bedeutet, dass ich auf der Couch liege und mich mit Instagram-Reels ablenke, weil alles, was darüber hinausgeht, zu anstrengend ist. Mein Nichts bedeutet, dass ich nicht mit Menschen kommunizieren kann, nicht kochen kann, nicht basteln kann, keine Hörbücher hören – geschweige denn lesen – kann, nicht einkaufen kann, ja noch nicht mal rausgehen kann. Mein Nichts bedeutet NICHTS und mein Nichts ist die Folge von dem, was für andere Menschen ganz normale, alltägliche Dinge sind!

Ich bin behindert.

Immer noch bin ich erst am Anfang davon, das für mich als wahr zu verstehen, zu begreifen, dass behindert eben nicht nur das ist, was wir sehen, sondern all das, was uns das Leben so viel schwerer macht als den meisten und was wir meistens überspielen, um für andere nicht zu anstrengend zu sein.

Immer noch bin ich erst dabei, mir selbst klarzumachen, dass auch ich behindert bin: Ohne sichtbare Behinderung, ohne die spezifischen Probleme, die aus diesen Behinderungen entstehen, aber durch andere Behinderungen und deren Folgen.

Ich bin behindert und der 3. Dezember ist auch mein Tag.

Longread: Neurodivergente Vorbereitungen auf den Urlaub – eine Geschichte

Longread: Neurodivergente Vorbereitungen auf den Urlaub – eine Geschichte

28. Juli 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

Ich liebe Urlaub. Oder halt, nein, ich sollte sagen: Mein ADHS-Anteil liebt Urlaub, denn die Wahrheit ist, dass der autistische Anteil in mir Urlaub unglaublich schrecklich findet, die Angststörung – nun ja – Angst davor hat und die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) denkt, sie kann ihren Spaß damit haben.

Ein, zwei Wochen vor dem Urlaubsbeginn, geht es los: Der Autismus merkt immer wieder vorsichtig an, ob wir nicht vielleicht, so ganz langsam, also zumindest schon mal überlegen wollen, was wir mitnehmen sollen. Wir könnten ja eine Liste schreiben? Die ADHS schnaubt empört: „Eine Liste? Wer braucht schon eine Liste? Und außerdem ist es viel zu früh!“

Der Autismus beginnt dennoch heimlich, still und leise an einer Liste zu arbeiten – nur intern natürlich, denn Aufschreiben, das mag hier niemand. Dann fällt dem Autismus ein, dass wir uns auch Gedanken darüber machen sollten, wie wir am besten an unseren Urlaubsort kommen und die Angststörung findet das einen guten Moment, um einzuwerfen, was alleine auf der Fahrt alles schiefgehen könnte. Darauf springt der Autismus gerne auf, denn viele Fortbewegungsmethoden sind enorm stressig. Öffentliche Verkehrsmittel! Höllisch!

„Müssen wir jetzt darüber reden?“ fragt die ADHS und merkt an, dass noch sooo viel Zeit bis dahin wäre und wir doch einfach alles auf uns zukommen lassen sollten, das wäre ohnedies viel lustiger und aufregender und planen würde doch echt keinen Spaß machen, oder?

Autismus, Angststörung und PTBS rollen genervt mit den Augen: „Warum versteht die ADHS nie, dass man sich auf alle Eventualitäten vorbereiten muss?“ „Genau“, ruft die PTBS, „erinnert ihr euch noch an diese Geschichte, also das ist sicher schon ein paar Jahrzehnte her, aber ich habe mir gemerkt, dass das IMMER so ist und es war schrecklich und…“ „Pah“, unterbricht die Angststörung, „du immer mit deinen alten Geschichten. Wir müssen uns doch nur vorstellen, wie es werden wird, das ist doch schon gruselig genug“, und sofort beginnt sie, ein Szenario zu entwickeln, bei dem einfach alles furchtbar ist und der Autismus mischt eifrig mit, denn sensorische Überreizung, viele Menschen und Störungen im geplanten Ablauf, das sind Punkte, wo er sich sofort in Panik denken kann.

„Hey, Leute“, die ADHS platzt mitten rein und deutet auf das Handy, „wie wäre es, wenn wir uns mal das Wetter anschauen! Oh, eine E-Mail von der Unterkunft, auf die wir antworten sollen….“ Die ADHS erstarrt. Antworten! Das böse Wort. Die Angststörung starrt mit großen Augen auf die E-Mail: „Mach sie zu! Mach sie zu! Wir können da nicht antworten!“ Für den Rest des Tages meiden alle das Mailprogramm und bemühen sich, sich mit anderen Themen zu beschäftigen. Das mit der Antwort, das eilt doch sicher nicht. Die Ordnungsrufe des Autismus ignorieren alle.

In der Nacht folgt ein gruseliger E-Mail-Traum auf den nächsten und am nächsten Morgen schauen alle etwas bedröppelt drein. „Die E-Mail?“ murmelt der Autismus vorsichtig und alle versuchen sich, hintereinander zu verstecken. Da prescht die ADHS vor und schnaubt: „Pah, wir machen das jetzt einfach! So. Und so. Und so. Zack, weg damit!“ „Ähh“, merkt der Autismus leise an. „Was?“ die ADHS guckt in Erwartung von Kritik möglichst böse. „Nichts, nichts, es ist nur, also…“, der Autismus ziert sich etwas, schließlich weiß er diese impulsiven Aktionen der ADHS durchaus zu schätzen – wenn sie nur nicht immer die Hälfte vergessen würde. Da meldet sich die Angststörung zu Wort: „Können wir jetzt bitte das Handy weglegen und den Rest des Tages nicht mehr in die Hand nehmen? Ich habe Angst vor der Antwort, wisst ihr?“ Die anderen nicken verständnisvoll und starten das Ablenkungsprogramm.

„Wir könnten durch Instagram scrollen, das gibt Dopamin!“ ruft die ADHS. „Kein Handy!“ schallt es im Chor zurück.
Der Autismus schlägt vor: „Wie wäre es, wenn wir jetzt das beste Transportmittel ermitteln, das geht auch ganz schnell mit…“ „Kein Handy!“
Die PTBS setzt mehrfach an, um ein paar beängstigende Geschichten aus der Vergangenheit zu erzählen und die Stimmung zu trüben, da schnappt sich die ADHS doch das Handy und beginnt zu scrollen. Die anderen gucken empört, sagen aber nichts und der Rest des Tages geht in ADHS-bestimmter Ablenkung unter.

Irgendwann trifft auch die Antwortmail ein und ist – sehr zur Enttäuschung von PTBS und zur (mal wieder) riesengroßen Überraschung der Angststörung – absolut harmlos. Der PTBS-Recovery-Modus macht eine Notiz und die PTBS schaut ihn wütend an: Was mischt der sich ständig ein? Am Ende hört ihr irgendwann niemand mehr zu.

Am Abend versucht der Autismus die anderen mal wieder von der Sinnhaftigkeit von Planung zu überzeugen und möchte jetzt wirklich gerne das Anfahrtsproblem lösen. ADHS und Angststörung zoffen sich kurz über die Vor- und Nachteile von Bahnfahrten, während die PTBS den Hypervigilanz-Modus aktiviert und Nachrichten liest. „Da steht was von Bauarbeiten auf der Strecke“, informiert sie die anderen. Alle verstummen. „Kein Zug?“ fragt der Autismus hoffnungsvoll. „Nein“, antwortet die PTBS, „aber Schienenersatzsverkehr mit Bussen!“ Sie grinst boshaft. Alle hassen Busse und sie hat viele wunderbare Geschichten darüber auf Lager, warum sie sie weiterhin hassen sollten. Die Angststörung jammert sofort los, der Autismus stöhnt und die ADHS wirft spontan ein: „Wir könnten das Auto nehmen!“

Es ist kurz still. „Autofahren ist doch immer so anstrengend und außerdem…“, die PTBS kramt nach einer schlechten Erinnerung, da unterbricht sie der Autismus: „Also Autofahren wäre eigentlich okay.“ Die Angststörung weist auf die Parkplatzproblematik hin, aber die ADHS läuft jetzt zur Höchstform auf und präsentiert aus dem Stand drei verschiedene Lösungen. Der Autismus nickt. Die Angststörung murmelt nur noch leise vor sich hin und die PTBS zieht sich verwirrt von so viel guten Ideen erstmal zurück. Sie fühlt sich mit Verzweiflung und Verwirrung deutlich wohler.

Am nächsten Morgen, die ADHS ist immer noch ganz stolz auf ihren Erfolg vom Vortag, fragt der Autismus nach, ob wir jetzt nicht doch langsam über die Packlisten reden könnten. „Listen!“ die ADHS schnaubt. Hat denn der Autismus immer noch nicht verstanden, dass Listen langweilig sind? Langweilig, langweilig, langweilig! Sie denkt sich ein bisschen in Rage und plündert dann erstmal den Kühlschrank: Süßes hilft bei all dieser Aufregung!

„Wir sollten das Kochmesser mitnehmen“, platzt sie kauend heraus, „für Obstsalat!“ Der Autismus hebt den Kopf: Das klingt nach einer Liste! Nach Planung! Gutmütig spielt er mit: „Machen wir! Möchtest du sonst noch etwas einpacken?“ Die ADHS denkt einen Sekundenbruchteil nach, bevor die Worte nur so aus dem Mund schießen: „Das kleine Tomatenmesser! Und den Gemüseschäler! Und den Hobel! Und natürlich das große Brett! Und den Wok brauchen wir auch!“ Der Autismus nickt und nickt. Lauter Dinge für das Spezialinteresse! Manchmal liebt er die ADHS!

Da macht sie weiter: „Und die neuen Stifte, Papier dazu, dann noch die Perlen und Werkzeug zum Schmuck machen, die Lupenlampe, Faden und Nadeln, falls wir Buchbinden wollen, den Stapelschneider, den Drucken oh und den Webrahmen und ein, zwei Boxen Garn. Ach, und wir nehmen doch eh das Auto, da könnten wir doch auch noch die Malbücher mitnehmen und vielleicht ein paar Häkelnadeln, falls wir doch mal wieder Häkeln wollen und die Schwimmsachen, ein extra Paar Schuhe, falls wir wandern wollen und können wir vielleicht auch die Kräutertöpfe mitnehmen?“

Alle starren mit offenem Mund auf die ADHS. „Du meinst nicht, dass das vielleicht ein bisschen“, der Autismus räuspert sich, „also nur ein klitzekleines bisschen, also äh, zu viel sein könnte?“ Die ADHS erstarrt, schaut zum Autismus, der Autismus lächelt beruhigend zurück, doch es ist bereits zu spät. Die ADHS fühlt sich zurückgewiesen, kämpft mit den Tränen und zieht sich ganz weit zurück, felsenfest davon überzeugt, dass niemand sie mag. Die PTBS wittert ihre Chance, setzt sich zur ADHS und flüstert ihr zu, dass es doch immer das Gleiche wäre, dass immer alle gegen sie wären und sie einfach zu schlecht für diese Welt wäre. Dass der Autismus versucht, herauszufinden, wie er all diese Dinge vielleicht doch ins Auto bekommen könnte, damit die ADHS nicht traurig sein muss, bekommt sie nicht mehr mit. Der Rest des Tages endet in allgemeiner Traurigkeit.

Am nächsten Morgen verschläft die PTBS – die Erfolgsparty am Abend davor war vermutlich zu lang – und ADHS und Autismus setzen sich zusammen, um über die „Unterhaltungsmaterialen“ zu sprechen. Die ADHS hat sich inzwischen ausreichend beruhigt, um Abstriche zu machen und wird noch zusätzlich von der Aussicht auf: „Vielleicht finden wir ja einen tollen Laden mit Bastelsachen?“ abgelenkt. Die Angststörung merkt vorsichtig an, dass sie sich aber vielleicht nicht in den Laden hinein trauen würde, aber die ADHS beruhigt sie mit vor Vorfreude glitzernden Augen: „Selbstverständlich trauen wir uns in Laden mit Bastelsachen! Ich helfe dir!“ Der Autismus grinst.

In den nächsten Tagen wirft er immer mal wieder verschiedene Reisethemen ein und Schritt für Schritt organisiert er den chaotischen Haufen. Beim Thema Klamotten müssen die anderen ihn allerdings ordentlich zurückhalten und davon überzeugen, dass er nicht für jede mögliche Wetter- und Temperaturlage fünf verschiedene Outfits einpacken muss. Das schlagende Argument ist immer: „Fühlst du dich darin denn wirklich so wohl, dass du es im Urlaub anziehen möchtest?“ was der Autismus meistens verneinen muss, denn eigentlich trägt er nur eine Handvoll Sachen wirklich, wirklich gerne und genau die schaffen es schließlich in den Koffer. So wie das Schneidbrett, das Messer und die Stifte, für die die ADHS schließlich die perfekte Lösung findet: Ein zweiter Koffer. Unbemerkt packt sie dann auch noch die Lupenlampe, den Ventilator und die Insektenlampe ein – die anderen werden mit Sicherheit begeistert davon sein, wenn sie sie erstmal entdecken!

Immer wieder versucht die PTBS die Stimmung zu trüben, erzählt davon, wie wenig diese ganzen Pläne funktionieren werden und die Angststörung fühlt sich immer wieder zu den negativen Gedanken hingezogen und steigert sich am Abend vor der Abfahrt endgültig in ihre Panik hinein. „Alles wird schiefgehen!“ ist sie überzeugt. Entsprechend unruhig und anstrengend wird die Nacht und sie fühlt sich bestätigt: „So kann ein Urlaub nicht gut werden.“

Doch die ADHS ist jetzt im Urlaubsmodus und hüpft aufgeregt herum. Autofahren! Eine neue Stadt! Das Wetter ist toll! Wir können uns einen neuen Laden anschauen! Und noch einen! Und der Bastelladen! Und sicher können wir auch in das tolle Restaurant! Und Eis! Wir werden Eis essen!

Der Autismus ist zurückhaltender und hat ziemliche Bauchschmerzen: Das Zuhause zurück lassen… was, wenn es traurig ist? Was wenn die Wohnung uns vermisst? Und die Pflanzen? Und vielleicht haben wir etwas vergessen…

Die Angststörung fürchtet sich vor den vielen fremden Menschen und Situationen und eigentlich könnte man doch auch einfach zuhause bleiben und die Wohnung nicht mehr verlassen…?

Die PTBS ist verwirrt von so vielen unterschiedlichen Gefühlen und weiß gar nicht, worauf sie sich zuerst stürzen soll. Da grinst der Recovery-Modus und meint: „Wie wäre es, wenn du einfach zuhause bleibst? Du kannst ja die Wohnung trösten, damit der Autismus sich keine Sorgen mehr machen muss.“ Die PTBS schnaubt empört, doch der Vorschlag bringt alle anderen zum Lachen und das Lachen überdeckt die Sorgen und Ängste lange genug, um sich auf den Weg zu machen.

„Nächster Halt. Urlaub!“ jubelt die ADHS, der Autismus zieht den Sonnenhut etwas tiefer in die Stirn und die Angststörung klammert sich an die Hand der ADHS. Manchmal ist es gut, einen mutigen Freund an der Seite zu haben.

Weil wir wertvoll sind

Weil wir wertvoll sind

11. Mai 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

Den Großteil meines Lebens hielt ich mich für einen ganz furchtbaren Mensch. Ich dachte, ich wäre faul, disziplinlos und wertlos. Während alle um mich herum ein „ordentliches“ Erwachsenenleben lebten, einen Job hatten, Kinder großzogen, ihren Haushalt im Griff hatten, sich ehrenamtlich engagierten, Hobbys und Freundschaften pflegten, hatte ich… nichts davon.

Ich habe keine Kinder, mein Haushalt schwankt konstant zwischen eigentlich ordentlich und undefinierbarem Chaos, meine Hobbys wechseln ständig, meine Freundschaften sind extrem eng oder nicht existent und beruflich kam ich immer nur dann klar, wenn ich mit Menschen zu tun hatte, die mir viel Freiraum gaben und mir gleichzeitig einen sicheren Rahmen boten, in dem ich die Regeln verstand und in Ruhe meinen Aufgaben nachgehen konnte.

In den meisten Jobs, die ich bisher hatte, ging es mir früher oder später richtig schlecht. Immer wieder kam es zu Situationen, in denen ich meine Arbeit nicht mehr tun konnte, weil alles in mir dagegen rebellierte. Und mit „alles“ meine ich tatsächlich alles. Mein Magen krampfte sich zusammen, meine Schulter- und Nackenmuskeln verhärteten, ich hatte einen Druck im Hals, meine Augen brannten, meine Gedanken begannen zu rasen und ich fühlte mich, wie kurz vor einer Panikattacke. Dazu kam das geradezu unerträgliche Gefühl, schreien und heulen zu müssen. Ich tat es nicht, aber ich kämpfte. Ich zwang mich dazu, meine Arbeit zu tun und umso mehr ich mich zwang, umso schlechter ging es mir damit.

„Augen zu und durch“, bekam ich dann zu hören oder: „Wir alle müssen manchmal Dinge tun, die wir nicht wollen, stell dich nicht so an.“

Ich dachte, sie hätten Recht und es läge daran, dass ich faul und arbeitsscheu wäre und mich vor meiner Arbeit drücken wollte, weil ich einfach keine Lust darauf hatte. Ich empfand das zwar nicht so, aber ich hatte mein Leben lang gehört, dass ich faul wäre, also musste doch etwas daran sein? Ich sah, wie andere ihre Arbeit erledigten und dachte, sie litten genauso sehr wie ich, würden das aber weniger zeigen, sich einfach mehr bemühe und schlichtweg arbeitsamer sein. Ich dachte, wenn ich das auch wäre, dann wäre alles gut.

Ich bemühte mich von ganzem Herzen – aber ich litt immer mehr. Ich konnte nachts nicht mehr schlafen, verbrachte Stunden um Stunden damit, alles, was am Arbeitstag passiert war, noch einmal zu hinterfragen und durchzudenken, überlegte mir hunderte von Strategien, wie ich noch eine Woche durchhalten könnte und noch eine. Ich hatte Angst davor, am nächsten Tag wieder dieser einen Person zu begegnen, deren Ansprüche für mich so unverständlich und wechselhaft waren, dass ich konstant an mir zweifelte. Ich fürchtete mich davor, wieder mit jener Person zu tun zu haben, die ständig ihre Anweisungen an mich vergaß und dann sagte, ich hätte etwas falsch gemacht. Ich machte mir Sorgen, dass ich wieder mit der Person zu tun haben würde, die von mir ein unterwürfiges Verhalten erwartete, das ich aber nicht zu ihrer Zufriedenheit erfüllen konnte.

Ich fühlte mich konstant fehlerhaft und minderwertig und gab mir die Schuld daran. Ich litt darunter, nicht einfach so sein zu können, wie man mich haben wollte – dabei verstand ich noch nicht einmal genau, WIE man mich haben wollte, nur, dass es offensichtlich besser wäre, wenn „ich“ weniger „ich“ wäre.

Ich wurde schließlich sehr krank und man legte mir nahe, zu kündigen. Ich verstand das, wollte es aber auf gar keinen Fall, denn was wäre ich denn dann überhaupt noch wert? Man war doch nur mit Job ein guter Mensch! Zumindest war es das, wovon ich überzeugt war.

Nach vielen, vielen Gesprächen mit dem Ehemann kündigte ich dann doch, denn auch wenn es mir schwerfiel, ihm zu glauben, dass mein Wert nichts mit (m)einem Job zu tun hatte, so wusste ich doch, dass er zumindest in einem Punkt recht hatte: Der Job tat mir nicht gut.

Es folgten ein paar andere Jobs, aber meistens merkte ich schon nach kurzer Zeit: Das funktioniert nicht. Ich machte mir beständig große Vorwürfe, hielt mich für unfähig und nicht belastbar genug, fand mich zu pingelig und zu schwierig, zu faul und arbeitsunwillig und wieder dachte ich, ich müsste nur einfach aufhören, ich zu sein, dann wäre schon alles in Ordnung. Aber wie machte man das?

Ich fand es nicht heraus, aber dafür fand ich etwas anderes: Eine ganz wunderbare Chefin! Mit einem Mal fühlte ich mich nicht mehr falsch, sondern ganz außerordentlich wohl. Ich hatte Freude an meiner Arbeit, wurde geschätzt und konnte meine Stärken ausleben. Ich hatte überhaupt kein Problem mit all diesen Aufgaben, die nicht wirklich Freude machen! Sie waren halt da und ich erledigte sie – ganz ohne Probleme. Vieles von dem, was für mich Stress bedeutete, fing meine Chefin auf, sie unterstützte mich und ließ mir meine Freiräume.

So wohl ich mich auch fühlte, meine psychischen und physischen Probleme führten dennoch immer wieder zu Ausfällen und ich empfand mich als Enttäuschung.

Ich arbeitete viele Jahre mit dieser Chefin zusammen, doch irgendwann wechselte sie die Stelle und ich bekam einen neuen Chef – und wieder funktionierte es nicht.

Schon nach kürzester Zeit war ich massiv gestresst, hatte Angst vor dem nächsten Arbeitstag, dachte an nichts als die Arbeit und war konstant überreizt. Es ging mir schlecht, ich litt auch an Nicht-Arbeitstagen gewaltig und mir wurde klar: Ich musste da weg. Ich kündigte schließlich sobald es nur ging und war unfassbar erleichtert darüber.

Ich habe seither keinen neuen Job gesucht. Ein bisschen ist da die Angst, wieder in so eine Situation zu kommen, ein bisschen ist es die Tatsache, dass meine physische und psychische Gesundheit nicht so zuverlässig sind, wie ich (und potenzielle Arbeitgeber) das gerne hätten. Ein bisschen ist es vielleicht auch Trotz gegenüber einer Gesellschaft, die einem Arbeit als Zeichen des eigenen Wertes verkauft. Vor allem aber ist es ganz viel Wissen, dass es mir ohne festen Job besser geht. Viel, viel besser.

Ich schäme mich bis heute manchmal dafür und wenn ich weiß, dass ich neue Menschen kennenlernen werde, überlege ich mir schon lange davor, was ich wohl auf die Frage „Und was machst du beruflich?“ antworten werde, denn die gesellschaftliche Abwertung für Menschen, die nicht erwerbstätig sind, ist real.

Arbeitet man nicht, dann gilt man als faul, als disziplinlos und als Belastung. Man bekommt zweifelnde Blicke, was man denn den ganzen Tag tun würde, manche sind neidisch über die viele Freizeit, andere erwarten, dass man eben jene Freizeit dann doch möglichst sinnvoll nutzt. Arbeitet man nicht, hat man sich sozial zu engagieren, einen perfekten Haushalt zu führen oder doch wenigstens den Ehepartner perfekt zu umsorgen, denn den nutzt man ja offensichtlich total aus. /s Tonidikator: Sarkasmus

Der Gedanke, dass jeder Mensch seinen Möglichkeiten entsprechend lebt, ist den meisten zumindest in der Theorie noch klar. Wie unterschiedlich diese Möglichkeiten aber verteilt sind, ist schon deutlich schwieriger nachzuvollziehen. Wie oft bekommt man zu hören: „Da muss man sich einfach nur mehr anstrengen!“

Meine Möglichkeiten sind stark begrenzt: Ich bin chronisch krank, habe eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung (und andere psychische Probleme) und muss als neurodivergenter Mensch in einer Welt, die nicht für mich gemacht ist, klarkommen. Selbst ohne Erwerbsarbeit fehlt mir oft schon die Energie für den ganz banalen Alltag. So sehr ich mich auch anstrenge, meine Möglichkeiten bleiben dennoch begrenzt.

Ich habe genug davon zu hören, dass ich weniger faul sein oder mich mehr bemühen soll. Ich will nicht mehr gesagt bekommen, dass ich „halt einfach machen“ soll und mich nicht in Ausreden flüchten soll und das ja alles gar nicht so schlimm wäre und andere ja auch xy tun könnten. Und vor allem möchte ich nicht länger das Gefühl vermittelt bekommen, eine Bürde zu sein, eine Belastung, ein Schmarotzer oder dass ich ja Glück hätte, dass mein Ehemann noch bei mir wäre, obwohl ich so bin wie ich bin.

Jeder Mensch ist wertvoll.

Vielleicht erschließt sich nicht jedem oder jeder, worin dieser Wert besteht, aber weißt du was: Das muss es auch gar nicht. Behandle Menschen einfach so, als wäre dir absolut klar, dass sie gut und wertvoll und wichtig und, ja, auch nützlich sind. Vielleicht fällt dir dann irgendwann auf, dass es tatsächlich so ist und wie sehr sie dein Leben bereichern.

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