Let’s talk about: PMDS – Prämenstruelle dysphorische Störung
In der Nacht wache ich auf. Alles ist dunkel. Ich bekomme Angst. Ich taste nach dem Ehemann. Ist er noch da? Ich berühre seinen Körper. Bin für einen Moment beruhigt, doch dann der nächste Schreckmoment. Ich lausche. Versuche, seinen Atem wahrzunehmen, denn ich habe unendliche Angst, Angst, dass er vielleicht nicht mehr da ist.
Jahrelang war diese Angst mein Begleiter. Viele, viele Nächte bin ich aufgewacht, hatte Angst, dass mein Kater gestorben sein könnte, mein Ehemann, ein Freund. Und nicht nur davor: Ich hatte immer wieder unbeschreibliche Angst vor allen möglichen Dingen. Ohne Grund. Von einem Moment auf den anderen. Es gab keinen Auslöser, keine Erfahrung. Es gab einfach nur diese Angst.
Dazu immer wieder intensive depressive Phasen. Phasen, in denen ich das Gefühl hatte, von der Unerträglichkeit der Welt erdrückt zu werden, nicht mehr atmen zu können, nicht mehr atmen zu wollen. Phasen, in denen alles schon in Gedanken zu viel war, in denen ich mich tagsüber wieder und wieder in den Schlaf geflüchtet habe, weil Wach-sein eine Qual war und Schlaf das einzige Entkommen war.
Depression. Angststörung.
Ich arbeitete daran. Trainierte Skills. Suchte Hilfsmittel. Aber nichts half gegen diese Wellen an psychischem Chaos in mir. Sie kamen und sie gingen. Unvorhersehbar. Unbeherrschbar. Und die Angst vor dieser Willkür war fast noch größer als die Angst vor den Phasen selbst.
Bis mir irgendwann auffiel, dass es gar nicht willkürlich war.
Zuerst wurde mir bewusst, dass die Angst immer in Phasen kam, in denen ich ganz furchtbar leicht wütend wurde. Phasen, die ich bereits mit meinem Zyklus verband – PMS! Und tatsächlich, die Angst kam immer einige Tage vor dem Einsetzen meiner Periode auf und hatte die Depression im Schlepptau. Manchmal nur 3 oder 4 Tage vorher, manchmal auch 10 oder 12, aber immer verschwanden beide am 1. oder spätestens am 2. Zyklustag wieder – komplett und ohne, dass ich irgendetwas dagegen getan hätte.
Was ich für willkürlich hielt, richtete sich in Wirklichkeit nach meinem Körper!
Mir glaubte das damals niemand. Es wurde als Einbildung abgetan. Ich hatte ja offensichtlich psychische Probleme, also war ich doch ganz offensichtlich nicht zurechnungsfähig und außerdem war ich ja keine Fachperson, also hatte ich auch ganz sicher keine Ahnung.
Hatte ich aber sehr wohl. Ich beobachtete mich ja. Ich erlebte, was da in mir abging und wann und auch, wie es wie von Zauberhand einfach wieder verschwand! Und doch war ich es so gewohnt, Fachleuten zu vertrauen, dass ich ihnen glaubte! Ich glaubte ihnen, dass ich mir das alles einbildete! Ich glaubte ihnen, dass ich keine Ahnung von meinem eigenen Körper hatte! Ich glaubte ihnen, dass ich gar keine Hilfe bräuchte…
… bis ich so verzweifelt war, weil mich Angst und Depression mal wieder so unbarmherzig überrannten, dass ich im Internet nach meinen Problemen suchte. Das, was doch nur ganz, ganz schreckliche Patient*innen machen und was man besser keinem Arzt und keiner Ärztin verrät. Ich verriet es auch nicht, aber ich suchte dennoch danach.
Das Internet erzählte mir dann das erste Mal etwas von PMDD: Premenstrual dysphoric disorder (zu Deutsch: PMDS – Prämenstruelle dysphorische Störung).
Die Zusammenfassung ist oft „PMS nur schlimmer“ und das trifft es durchaus, aber das Ausmaß des „schlimmer“ ist doch… unerwartet. Mit PMS verbindet man vor allem „schlechte Laune“, „Gereiztheit“ und ein paar körperliche Dinge, wie spannende Brüste oder Pickel. „Schlimmer“ klingt also mehr nach „das alles, aber halt ein bisschen stärker“.
In Wirklichkeit umfasst das „schlimmer“ bei PMDS aber teils deutlich mehr und vor allem auch in sehr starker Ausprägung.
Psychisch finden wir da:
- Nervosität
- Unruhe
- Schlaflosigkeit
- Angstzustände
- Verwirrung
- Vergesslichkeit
- Paranoia
- Erschöpfungszustände
- Depressionen
- und einiges mehr…
Und auch physisch ist die Liste lang, umfasst natürlich die „normalen“ PMS-Symptome, geht aber darüber hinaus und beinhaltet auch neurologische Probleme. Auf der Webseite von John Hopkins Medicine gibt es zum Beispiel eine ausführliche (englischsprachige) Auflistung an Symptomen.
Meine Einbildung war also doch keine Einbildung, nur das Wissen über meine angeblich eingebildeten Probleme war bei meinen Ärzt*innen einfach nicht präsent genug!
Wenn ich mich heute im deutschsprachigen Internet umschaue, ist das Wissen um PMDS zum Glück endlich deutlich verbreiteter.
In den USA ist PMDD seit 2013 eine offizielle Diagnose und in Deutschland wird es das zukünftig auch endlich sein, denn die ICD-11, die (irgendwann) in den nächsten Jahren auch in Deutschland eingeführt werden wird, enthält mit GA34.41 tatsächlich einen Diagnoseschlüssel für PMDS!
Das ganze Thema wird endlich bekannter! Es gibt Forschung in dem Bereich und es wird inzwischen vermutet, dass das in der 2. Zyklushälfte gebildete Progesteron vom Körper „falsch“ verarbeitet wird und es darüber hinaus Abweichungen im Serotoninhaushalt gibt. Und sogar Medikamente sollen speziell für PMDS entwickelt werden.
Noch sieht es allerdings so aus, dass die einen versuchen, ihre menstruierenden Patient*innen zu „stressreduzierendem Verhalten“ zu bringen und empfehlen ihnen entsprechend Entspannungsübungen (schon wieder…) und ruhigen Sport, während die anderen mit der Unterdrückung des Zyklus durch die dauerhafte Einnahme der Pille arbeiten oder versuchen, die schlimmsten Symptome mit der Gabe von Antidepressiva – entweder dauerhaft oder punktuell – zu verbessern.
Und die dritten – wie mein letzter Gynäkologe – arbeiten mit pflanzlichen Mitteln. So empfahl er mir hochdosiertes Johanniskraut und Mönchspfeffer und das nehme ich jetzt seit einigen Jahren. Tatsächlich reduzieren sie meine Probleme deutlich – wenn auch nicht perfekt, denn diesen Text schreibe ich, weil die nächtliche Angst wieder zu Besuch war. Aber eben doch so gut, dass ich damit klarkomme.
Nachdem ich heute aber doch mal wieder nach dem aktuellen Kenntnisstand recherchiert habe, werde ich vielleicht nächstes Jahr mal die Suche nach einer neuen gynäkologischen Fachperson in Angriff nehmen und schauen, wie weit das Wissen um das Vorhandensein und die Behandlung von PMDS bis dahin vorangekommen sind und davor für eine Weile ein Zyklus-Tagebuch führen – oder es zumindest versuchen, denn mit ADHS ist das ja nicht immer so einfach.
Was ich dir mitgeben mag: Auch wenn dir vielleicht gerade niemand glaubt, dass du Probleme hast, lass‘ dir nicht einreden, dass du sie dir nur einbildest! Die Wahrscheinlichkeit, dass deine Probleme einfach nur noch nicht bekannt genug sind ist deutlich höher als die, dass du sie dir tatsächlich nur einbildest.
Medizin und Psychologie entwickeln sich und werden das vermutlich bis in alle Ewigkeiten so machen. Wir müssen uns alle – Fachkräfte, Patient*innen, Angehörige…. – bewusst machen, dass das heutige Fachwissen bei weitem nicht komplett ist und „Einbildung“ die falsche Antwort auf ein Problem ist.