Let’s talk about: Faulheit
Wenn ich mich in der Wohnung umsehe, sehe ich Dinge, die herumstehen. Den Drucker, den wir einlagern wollen, den wir dafür aber erst mal ordentlich in den Karton bekommen müssen und der so schwer ist, dass mir die Kraft dafür fehlt und dafür, danach auch nur dabei zu helfen, ihn ins Auto zu bekommen.
Den neuen Abfluss fürs Badezimmer-Waschbecken, den ich nicht montieren konnte, weil Werkzeug fehlte und der seit Monaten als Erinnerung daran, dass ich das noch tun muss, herumliegt.
Den Rest Tiefengrund, der vom Badezimmer übrigblieb, weil ich ihn fürs Schlafzimmer brauche, das ich aber noch nicht angefangen habe, weil meine Ideen zu teuer sind und ich ja auch ständig anderes zu tun finde.
Den Wäscheständer, den ich mal wieder seit Tagen ignoriert habe, dann zwar abgeräumt habe, aber der gleich wieder gefüllt werden wird.
Zwei Töpfe von gestern, als ich köstliche Spaghetti mit Karotten und Zucchini gekocht habe, aber nach dem Essen zu erschöpft zum Spülen war.
Ich schaue mich um und ich sehe Dinge, die herumstehen und ich sehe: „Da ist aber jemand faul!“
„Jemand“ bin natürlich ich, denn ich bin ja hier die „Hausfrau“, diejenigen, die nicht lohnarbeitet, die doch den ganzen Tag Zeit hat, die Dinge, die hier herumstehen, nicht herumstehen zu lassen, sondern wegzuräumen, aufzuräumen, sauber zu machen.
Diejenige, die das nicht macht. Diejenige, die faul ist.
Ich bin aber auch diejenige, die heute Morgen trotz richtig schlechter Nacht, einfach mal zwei Stunden lang das Schlafzimmer aufgeräumt hat, inklusive Schränke und Schubladen sortieren und ausmisten.
Ich bin auch diejenige, die gestern Abend gekocht hat, obwohl ich Schmerzen hatte, obwohl ich danach schon beim Essen total erledigt war und den Rest des Abends nur noch auf der Couch verbringen konnte.
Und ich bin diejenige, die sich fünf Wochen lang einfach so um einen anderen Haushalt und einen Garten kümmert.
Mein Leben lang habe ich gelernt, dass ich faul bin.
Weil ich mich nicht „genügend“ anstrenge. Weil es um mich herum nicht „ausreichend“ ordentlich ist. Weil ich dieses oder jenes nicht mache, von dem die Person, mit der ich gerade rede, aber überzeugt ist, dass es meine Priorität zu sein hätte. Oder weil ich es nicht so mache, wie sie es machen würde.
Oh, und natürlich weil ich dick bin und dicke Menschen halt sowieso faul sind. /s
Wenn du das immer und immer wieder gesagt bekommst, dann glaubst du es. Das ist wie mit Falschnachrichten und Lügen: Es geht überhaupt nicht um den Wahrheitsgehalt, sondern nur um die Wiederholung. Hörst du es nur oft genug, glaubst du es auch und wenn du es erstmal glaubst, findest du plötzlich auch „Beweise“ dafür.
Wenn du erstmal fest daran glaubst, faul zu sein, dann kannst du noch so viel tun, noch so umtriebig sein, noch so vieles bewegen du wirst trotzdem die Töpfe vom Vorabend sehen, den Wäscheständer, den Tiefengrund, den Drucker.
Du wirst sie sehen und du wirst dir sagen, dass du faul bist. Schon wieder!
Vielleicht wirst du dich für einen von Grund auf schlechten Menschen halten, weil du auch das wieder und immer wieder zu hören bekommen hast, bis du es geglaubt hast. Du wirst dich schämen, dich hassen, akzeptieren, dass andere Menschen dich schlecht behandeln, weil ist es nicht das, was du verdient hat, du faules Ding?
Dabei bist du gar nicht faul.
Du tust, was dir möglich ist.
Dein Leben besteht nicht nur aus Aufräumen und Sauberhalten und ordentlich sein, aus Sport treiben und alles im Griff haben.
Nur, weil jemand anderes, andere Prioritäten in seinem Leben setzt und vielleicht lieber eine blitzblanke Wohnung hat, anstatt auf der Couch zu liegen, durch Instagram zu scrollen und zur Ruhe zu kommen, bist du nicht faul.
Vielleicht machst du dafür etwas anderes – vielleicht aber auch nicht. Vielleicht brauchst du mehr Pausen. Vielleicht willst du einfach mehr Pausen.
Du bist deswegen nicht faul.
Du hast einfach nur andere Prioritäten.
Genauso wie ich, wenn die Töpfe stehen bleiben, der Wäscheständer, der Tiefengrund oder der Drucker. Wenn sie wegzuräumen wichtig genug für mich ist, werde ich das schon machen und bis dahin hat halt etwas anderes Priorität. Vielleicht meine Schubladen vielleicht aber auch auf der Couch liegen. Beides ist gleich gut, gleich wichtig, gleich fleißig.
Weil es um mich geht und um das, was mir gut tut. Manchmal ist das Aufräumen. Manchmal halt nicht.
Faulheit existiert nicht.
Faulheit ist nichts als das schlechte Gewissen, das wir uns als Gesellschaft selbst schaffen. Nichts als ein weiterer dieser sinnlosen Maßstäbe, die dazu dienen, uns voneinander abzugrenzen: Die „Guten“ und die „Faulen“… Da will man doch unbedingt bei den „Guten“ sein, nicht wahr?
Weißt du was? Komm‘ lieber zu den „Faulen“! Wir sind nämlich gar nicht faul, wir haben nur unsere eigenen Prioritäten.