Autistische Menschen sind ja so anstrengend
Patsch, da war er wieder: Der Vorwurf, wie anstrengend Autist*innen doch mit ihren Bedürfnissen, mit ihrer Kommunikation sind.
Was ist passiert? Eine Autistin erzählte davon, wie eine optimale Kommunikation für sie aussehen müsste, erwähnte, wie hilfreich es für sie wäre, wenn sie genaue Informationen bekommt, wenn Zweideutigkeiten vermieden werden und das, was so oft unausgesprochen bleibt, einfach ausgesprochen werden würde.
Darauf bekam sie prompt zu hören, wie anstrengend ihre Wünsche doch wären! Ihre autistischen Bedürfnisse wurden also mal einfach als „zu anstrengend“ abgewertet. Das verletzt. Nicht nur die Person, die ihre eigenen Bedürfnisse kommuniziert hat, sondern auch andere Autist*innen, denn das, was da erwähnt wurde, sind Bedürfnisse, die viele von uns teilen.
Deswegen kurz und knapp: Autistische Kommunikation ist kein Makel, kein Defizit und sie ist auch nicht anstrengend! Warum? Das erkläre ich gerne ausführlicher.
Es ist ohne Zweifel so: Autistische Bedürfnisse an Kommunikation sind oft ANDERS als Menschen es erwarten – und das meine ich vollkommen wertfrei. Dieses „anders“ mag für Menschen, die nicht autistisch sind – aber durchaus auch für andere autistische Menschen – anstrengend sein. Das liegt aber nicht daran, dass diese Bedürfnisse per se anstrengend sind, sondern daran, dass alle Menschen unterschiedliche Bedürfnisse an Kommunikation haben!
Gerade Autist*innen sind diese unterschiedlichen Kommunikationsbedürfnisse oft sehr bewusst. Wir wachsen damit auf, dass unsere Art der Kommunikation als falsch, schlecht, minderwertig und, ja, anstrengend gesehen wird und wir lernen von klein an, uns anzupassen und unsere eigenen Kommunikationsbedürfnisse zu ignorieren und „nicht-autistisch“ zu kommunizieren.
Nicht-autistischen Menschen wiederum merken oft überhaupt nicht, dass sie Bedürfnisse an eine Kommunikation haben. Wie auch, wenn doch die große Mehrheit der Menschen so kommuniziert, wie es für sie genau richtig ist? Das heißt aber nicht, dass sie KEINE eigenen Bedürfnisse an Kommunikation haben! Sie merken es nur kaum, weil ihre Bedürfnisse meistens automatisch erfüllt werden.
Treffen sie aber auf einen Menschen mit anderen Kommunikationsbedürfnissen, hakt es plötzlich und weil sie ja sonst immer klarkommen, ist es naheliegend, dass die ANDERE Person anstrengend, schwierig – kurz: Das Problem – sein muss.
Ist sie aber nicht.
Es sind einfach nur zwei Personen mit unterschiedlichen kommunikativen Bedürfnissen und viel zu oft wird von der autistischen Person verlangt, dass sie diejenige ist, die ihre Kommunikation an die allistische (= nicht-autistische) Person anpasst. Warum? Weil nicht-autistischen Menschen meistens überhaupt nicht klar ist, dass sie Bedürfnisse an eine Kommunikation haben. Sie gehen davon aus, dass ihre Art zu kommunizieren „natürlich“ ist, quasi gänzlich „anspruchslos“ und etwas, das jede*r automatisch können und tun muss.
In Wirklichkeit hat aber wirklich jeder Mensch Bedürfnisse an Kommunikation – egal ob autistisch oder nicht! – und auch allistische Menschen können aneinander vorbeireden, wenn ihre Kommunikation unterschiedlich ist. Etwas, wofür dann viele übrigens auch wieder der jeweils anderen Person die Schuld geben. Ein Klassiker in Paarbeziehungen.
Und das führt uns zum nächsten Punkt: Kommunikationsbedürfnisse sind ganz oft unbewusst, drücken sich aber in unseren Kommunikationsstilen aus und jede Kommunikation wird dann anstrengend, wenn sie nicht zu unserem eigenen Kommunikationsstil (und damit zu unseren darunter liegenden Bedürfnissen an eine Kommunikation) passt.
Ich kann z.B. mit ganz wenigen Menschen auch noch kommunizieren, wenn es mir nicht gut geht, weil das Menschen sind, deren Kommunikationsstil sehr gut zu meinem eigenen passt. Unterhaltungen mit diesen Menschen Kosten mich keine Mühe. Bei den meisten Menschen ist das aber anders und je nachdem, wie stark unterschiedlich wir kommunizieren, ist die Unterhaltung dann für mich eben – selbst im besten Zustand – anstrengend!
Was ich sagen möchte: Kein Kommunikationsstil, keine Kommunikationsbedürfnis ist per se anstrengend! Es kommt immer auf alle an einer Kommunikation Beteiligten an. Und ja, die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kommunikation anstrengend wird, ist höher, wenn die Neurotypen der Beteiligten unterschiedlich sind, weil dadurch auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Bedürfnisse unterschiedlich – oder sogar gegenläufig – sind.
Was ich sagen möchte: Wenn der Kommunikationsstil eines Menschen für dich anstrengend ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass DU ähnlich anstrengend für diese Person bist! Gleichzeitig kannst du aber schlichtweg überhaupt nicht beurteilen, wie anstrengend diese Person wieder für jemand anderen ist!
Das betrifft übrigens nicht nur Bedürfnisse in Bezug auf Kommunikation, sondern quasi alle Bedürfnisse.
Deshalb ist es so enorm wichtig, sich die eigenen Bedürfnisse bewusst zu machen und darüber zu kommunizieren! Eben nicht nur was Kommunikation betrifft, sondern auch Abstand und Nähe, Wertschätzung, Unterstützung, Grenzen, Wünsche und so vieles mehr!
Mein Tipp wäre also: Werde dir deiner eigenen (kommunikativen und sonstiger) Bedürfnisse bewusst. Überlege dir, was du selbst in einer Kommunikation brauchst, wichtig oder hilfreich findest und wenn dann jemand kommt und dir seine Bedürfnisse mitteilt und du das Gefühl hast, dass diese Bedürfnisse ganz schön anstrengend sind, dann überlege dir vielleicht erstmal, wie anstrengend DU selbst für diesen (und andere) Menschen sein könntest und was er an Anstrengung in Kauf nimmt, um mit dir zu kommunizieren.
Weil nur, weil du dir noch nie Gedanken darüber gemacht hast, was für möglicherweise anstrengende Bedürfnisse du hast, heißt das halt nicht, dass du super pflegeleicht bist. Musst du aber auch nicht sein. Niemand von uns. Eben auch autistische Menschen nicht.