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My neurodivergent life is a piece of art

Über Kulturen – oder eben nicht

Über Kulturen – oder eben nicht

27. Oktober 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

In meinem Text „Autismus hat man für immer – ein wirklich moderner Blick auf Autismusspektrumstörungen“ verwende ich Kultur, um zu beschreiben, wie es sich anfühlt, als neurodivergenter Mensch in einer neurotypischen Welt zu leben. Für mich persönlich ist das stimmig, denn ich nehme wahr, in wie vielen verschiedenen Kulturen ich mich selbst bewege, wie ich ein Teil von vielem verschiedenen und doch ein Individuum darin bin und wie leicht oder schwierig der Übergang für mich zwischen „meinen“ Kulturen ist und auch, dass einige dieser Schwierigkeiten eben durch meine Neurodivergenz entstehen.

Was ich dabei aber übersehen habe: „Kultur“ bedeutet nicht für jeden Menschen dasselbe und während es für mich in meinem Verständnis von Kultur ein passender Vergleich ist, habe ich keinerlei Kontrolle darüber, was Kultur – und noch stärker „andere Kultur“ – für dich oder jemand anderen bedeutet, wie es sich anfühlt, was die Assoziationen und Einordnungen dabei sind. Ich habe komplett übersehen, wie sehr wir „fremde Kultur“ zur Ab- und Ausgrenzung nutzen, wie sehr wir Menschen in „Kulturen“ einsortieren, um ihnen Eigenschaften, Denkweisen und Werte zuzuordnen, die aber nur durch ihre vermeintliche „Kulturzugehörigkeit“ legitimiert sind und nicht durch das jeweilige Individuum.

Und so kommt es, dass ich mit meinem Kulturvergleich ungewollt auch Rassismus Raum gegeben habe.

Es nervt mich ungemein. Ich mag den Begriff „Kultur“. Ich mag, was er für mich darstellt. Ich mag ihn, weil er für mich ein wunderbares Konstrukt ist, in dem jeder Mensch sich bewegt – flexibel, vielseitig, groß. So groß, dass ich Kultur auf „Sprache und fremde Gesten, Rituale und Bräuche“ heruntergebrochen habe, um ihn möglichst greifbar zu machen und damit am Ende noch mehr ein rassistisches Bild produziert habe!

Großartig… /s (Tonindikator: Sarkasmus)

Also natürlich nicht großartig, sondern einfach furchtbar ärgerlich. Und ja, natürlich ärgert es mich auch, dass ich „Kultur“ nicht mehr verwenden kann – nicht, weil es mir jemand verbieten würde(!), sondern weil wir Menschen auch diesen Begriff mit unserem uns innewohnenden Rassismus, unserem Drang zur Abgrenzung und zur Bewertung von Leben zu einer Waffe gegen alle, die „nicht wie wir“ sind, gemacht haben. Menschen sind schrecklich. Ja, ich auch.

An dieser Stelle mein aufrichtiger Dank an Solveïg von Intersektionale Bildung, denn hen hat mich darauf aufmerksam gemacht – und mein Dank und vor allem auch meine Entschuldigung an die, mir unbekannte Person, die wiederum Solveïg darauf aufmerksam gemacht hat und an alle, die ich durch meinen Kulturvergleich verletzt und deren Leben und Erleben ich durch mein sorgloses Verwenden von „Kulturen“ nicht mitgedacht habe.

Und jetzt wollen wir versuchen, das besser zu machen! Achtung: Das wird lang!

Wir befinden uns an dieser Stelle, wo ich langsam versuche, begreifbar zu machen, wie es sich anfühlt, als neurodivergenter – hier im speziellen: autistischer – Mensch mit neurotypischen Menschen und Standards konfrontiert zu sein:

Als Autistin bin ich es gewohnt, dass meine Wahrnehmung als falsch oder unpassend empfunden wird. Ich bin es gewohnt, dass ich mich dafür rechtfertigen muss, wenn ich etwas anders wahrnehme, dass ich mich dafür entschuldigen muss, wenn neurotypische Menschen mich mal wieder falsch verstehen oder dass ich mich so verhalten muss, wie es für mich unangenehm ist, nur um andere nicht zu enttäuschen oder als unhöflich empfunden zu werden.

Darauf folgte mein Kulturvergleich, den ich aus heutiger Sicht nicht mehr verwenden möchte. Dafür will ich es so zu erklären versuchen:

Stell dir vor, du hättest eine neue Beziehungsperson. Ihr fühlt euch wohl miteinander, eure Gespräche sind gleichzeitig lustig und ernst und ganz wunderbar leicht zu führen, ihr versteht euch und du kannst dir gut vorstellen, dass ihr längere Zeit zusammen sein werdet. Eines Tages sagt deine Beziehungsperson zu dir: „Meinen Geburtstag feiere ich bei meinen Eltern – du kommst doch mit?“

Du kennst ihre Eltern bisher nicht.

Freust du dich darauf, sie kennenzulernen? Oder bist du vielleicht verängstigt? Machst du dir Sorgen, was die Eltern von dir halten könnten? Denkst du vielleicht gar nicht weiter darüber nach und sagst einfach zu? Grübelst du in den kommenden Tagen darüber, ob das eine tiefere Bedeutung hat? Denkst du, dass es ganz sicher keine hat? Oder vielleicht im Gegenteil, dass es ganz sicher eine hat und bist ein bisschen stolz, weil du das durchschaut hast?

Ist dir überhaupt schon der Gedanke gekommen, dass es unterschiedliche Bedeutungen haben könnte und du – egal, wie gut du deine Beziehungsperson kennst – nicht mit Sicherheit sagen kannst, was es für sie bedeutet?

Du beschließt, es in aller Ruhe angehen zu lassen.

Also zumindest würdest du das gerne, denn umso näher der Geburtstag rückt, umso nervöser wirst du. Dir fällt plötzlich ein, dass du überhaupt nicht weißt, ob deine Beziehungsperson eigentlich ein Geschenk erwartet? Also du gehst eigentlich davon aus, aber dann fällt dir ein, dass ihr mal über unnötige und unpassende Geschenke und über sinnlosen Konsum gesprochen habt und mit einem Mal bist du dir nicht mehr so sicher: Wäre es falsch, ihr etwas zu schenken? Wäre es falsch, ihr NICHTS zu schenken?

Du hast Glück, denn am Abend, als du mit deiner Beziehungsperson plauderst, lässt sie – wohlplatziert oder zufällig? – fallen, dass sie sich eine bestimmte Sache zu ihrem Geburtstag wünschen würde. Du atmest auf. Klare Informationen sind toll! Zeitgleich fragt sie, ob du schon ein Gastgeschenk für ihre Eltern besorgt hast. Du erschrickst! Gastgeschenk? Was denn um alles in der Welt für ein Gastgeschenk? So was hast du noch nie besorgt!

Vielleicht hast du an der Stelle das Glück, dass du mit deiner Beziehungsperson darüber reden und sie fragen kannst. Vielleicht bist du dir sicher, dass du das einfach im Internet herausfinden kannst und fragst gar nicht erst. Vielleicht wirst du dir aber auch einfach etwas überlegen, so schwer kann das ja nicht sein.

Deine Beziehungsperson lässt noch kurz fallen, dass ihre Eltern sich eigentlich immer über handgestrickte Socken freuen und du nickst – nur ein klein wenig verzweifelt. Handgestrickte Socken? Woher sollst du denn bis übermorgen 2 Paar handgestrickte Socken nehmen? Und – fällt dir da noch ein – in welcher Größe denn überhaupt? Wie schnell du wohl stricken lernen kannst?

Den Rest des Abends bist du nicht mehr so richtig aufmerksam. Deine Gedanken kreisen unaufhörlich um Socken und Stricken und Gastgeschenke, darum, was du vielleicht noch alles überhaupt nicht über Eltern-kennenlern-Geburtstagsbesuche weißt und überhaupt: Geburtstage! Bei dir gibt es immer einen Kuchen mit Kerzen und deine Eltern und Freunde singen „Zum Geburtstag viel Glück“. Wie das wohl hier ist?

Der Tag vor dem Geburtstag. Du hast schlecht geschlafen, weil du ständig über handgestrickte Socken und Schuhgrößen nachgedacht hast und irgendwann beugte sich eine riesengroße Socke über dich und lachte dich aus, weil du nicht stricken kannst. „Zum Glück nur im Traum“, denkst du, während du deine Socken – NICHT handgestrickt, Schuhgröße 42 – anziehst und in deine Schuhe schlüpfst. Dir ist inzwischen klargeworden, dass diese Sockengeschichte nicht lösbar ist – und klammheimlich fragst du dich, ob deine Beziehungsperson das tatsächlich ernstgemeint hat oder dich vielleicht damit aufziehen wollte, aber nachfragen kannst du jetzt auch nicht mehr, weil wie stehst du denn dann da? Als ob du keine Witze verstehen würdest! Oder als ob du ihr nicht glauben würdest… Beides nicht wünschenswert.

Direkt nach dem Aufwachen hast du doch ins Internet geschaut. Blumen stand da. Wein. Pralinen. Erst willst du Blumen holen, aber dann fällt dir ein, dass Blumen kompliziert sind, weil ihre Farben Bedeutungen haben und ihre Sorten und wer weiß, ob wirklich alle dieselbe Bedeutung darin sehen? Am Ende löst du einen Eklat aus und ruinierst den ganzen Geburtstag! Nein. Keine Blumen. Also Wein oder Pralinen und da du von Wein keine Ahnung hast, entscheidest du dich für Pralinen. Damit kann man nichts falsch machen. Jeder mag Pralinen!

Am Abend chattest du mit deiner Beziehungsperson über den nächsten Tag und da schreibt sie plötzlich: „Ach, ganz vergessen: Sei nicht überrascht, wenn es keinen richtigen Kuchen gibt. Meine Eltern essen keinen Zucker und deswegen gibt es bei uns immer einen großen Brotlaib mit Kerzen!“ Du starrst auf die Worte. „Ah ja“, tippst du. Dann starrst du weiter. Die Pralinen kommen dir in den Sinn. Ob du vielleicht zuckerfreie Pralinen gekauft hast? Gibt es sowas überhaupt? Du musst das recherchieren!

Bevor du dazu kommst, erscheint ein Video im Chat: Ein Geburtstags-Brotlaib mit flackernden Kerzen, deine Beziehungsperson, die sie auspustet und – vermutlich – ihre Eltern, die „Zum Geburtstag viel Glück“ singen. „Puh“, denkst du erleichtert, „wenigstens ETWAS, das dir bekannt ist!“ In dem Moment singen sie „… zum Geburtstag, zum Geburtstag, zum Geburtstag viel Glück!“ Du bist verwirrt. Bei dir wurde da immer dein Name gesungen!

Du schaust dir das Video noch mal an – der Geburstags-Brotlaib ist eigentlich ziemlich cool – und ja, tatsächlich, bei deiner Beziehungsperson wird „Zum Geburtstag viel Glück“ ohne Namen gesungen. Okay, das bekommst du hin! Also hoffst du zumindest, du wirst einfach ganz konzentriert sein und gut aufpassen, damit du nichts falsch machst. Ihr vereinbart noch, wo ihr euch am nächsten Tag treffen wollt, um dann gemeinsam zu den Eltern deiner Beziehungsperson zu fahren, und wünscht euch eine gute Nacht.

Auch diese Nacht wird alles andere als gut. Dieses Mal verfolgen dich Pralinen durch deine Träume und streuen mit kleinen Pralinen-Armen Zucker auf brennende Brotlaibe. Die Pralinen wirst du definitiv nicht mitnehmen! Sicherheitshalber isst du ein paar zum Frühstück – diese Stärkung kannst du gerade echt gut brauchen. Kurz huscht der Gedanken durch deinen Kopf, dass du das bei der Geburtstagsfeier vielleicht besser nicht erzählen solltest, was würden die Eltern bloß von dir halten?! Dann ärgerst du dich, dass es dir wichtig ist, was die Eltern deiner Beziehungsperson von dir halten.

Missmutig gehst du los, um halt doch Blumen zu holen. „Gelb“, denkst du, „gelbe Blumen sind fröhlich, damit kann man nichts falsch machen.“ Oder solltest du vielleicht doch lieber noch mal nachschauen? Während du unschlüssig stehenbleibst und dein Handy aus der Tasche ziehen möchtest, fällt dein Blick auf ein Schaufenster: Schlüsselanhänger in Sockenform! Du stürzt in den Laden und kaufst zwei – nur unterbrochen von einer kurzen Verunsicherung über die richtigen Farben, die du aber mit aller Kraft beiseiteschiebst: Du hasst Gastgeschenke. Aber: Thema abgehakt!

Auf dem Weg zum Treffpunkt gehst du im Kopf noch einmal alle Punkte durch: Gastgeschenk. Geburtstagsgeschenk. Singen ohne Namen! Brot. Kein Zucker. Wie stellst du dich überhaupt vor? Oder stellt dich deine Beziehungsperson vor? Und siezt du ihre Eltern? Oder duzt du sie? Und sie dich? Ob du wohl deine Schuhe ausziehen solltest? Hättest du Hausschuhe mitnehmen sollen?

Vor Nervosität beginnt dein Bauch zu grummeln. Jetzt nur nicht daran denken, wäre ja super peinlich, direkt aufs Klo zu stürzen, wenn ihr angekommen seid. „Entschuldigung, wo ist denn ihr Klo?“ – zack, weg! Nein, das geht nicht. Aber überhaupt: Was ist denn ein guter Zeitpunkt danach zu fragen? Und ob sie wohl von „Klo“ sprechen? Oder von „Toilette“? Dir wird heiß und dann eiskalt. Dein Bauch tut jetzt echt weh. Ob du vielleicht absagen kannst? Vielleicht könnte dich einfach ein Auto anfahren und du müsstest ins Krankenhaus und dann müsstest du nicht dorthin…

Am Ende wirst du natürlich nicht von einem Auto angefahren und kommst ins Krankenhaus, sondern fährst mit deiner Beziehungsperson zu ihren Eltern – du willst schließlich niemanden enttäuschen, schon gar nicht am Geburtstag! Es geht dir den ganzen Tag nicht gut und du hast ständig Angst, etwas falsch zu machen, etwas Falsches zu sagen, oder etwas NICHT zu sagen, was du aber sagen solltest. Du fühlst dich keinen Moment ruhig oder entspannt, bist ständig hoch konzentriert, beobachtest, analysierst und versuchst, dein Verhalten bestmöglich anzupassen. Deinen weiterhin grummelnden, schmerzenden Bauch ignorierst du, ebenso wie die Magenschmerzen und die im Laufe des Tages immer stärker werdenden Kopfschmerzen. Du reißt dich zusammen. Beim Singen stolperst du dann natürlich doch über den Namen und es ist dir furchtbar unangenehm, auch wenn die anderen nichts dazu sagen. „Vermutlich sind sie einfach nur höflich“, denkst du erschöpft und wünschst dir zum 3600. Mal in der letzten Stunde, dass du doch vom Auto angefahren worden wärst.

Irgendwie überstehst du den Tag. Am Abend fällst du komplett erledigt ins Bett. Du hast keine Energie mehr, um deine Zähne zu putzen oder dein Handy ans Ladekabel zu hängen und willst einfach nur noch schlafen, legst dich ins Bett, schließt die Augen und – bumm – der ganze Tag spielt sich erneut in deinem Kopf ab! Jeder Augenblick läuft wie ein Film an deinem inneren Auge vorbei. Du fühlst dich wieder so furchtbar wie während der letzten Stunden. Jedes Gespräch, jedes Wort, jeder Augenblick wiederholt sich und du denkst darüber nach, ob du dich an dieser Stelle passend verhalten hast und an jener. Immer wieder fällt dir etwas Neues auf, ein weitere Fehler deinerseits, eine Peinlichkeit, eine Ungeschicklichkeit. Du drehst dich im Bett hin und her, du bist müde, du willst schlafen, aber der Schlaf kommt nicht.

Irgendwann spät in der Nacht schläfst du dann doch noch ein. Du träumst wieder einmal wirr und im Traum wird der vergangene Tag noch ein bisschen schrecklicher, noch ein bisschen peinlicher, noch ein bisschen anstrengender.

Am nächsten Tag bist du zu erschöpft für alles. Du bleibst lange im Bett, scrollst durch dein Handy – immerhin hast du es doch noch geschafft, es ans Ladekabel anzuschließen – zwischendurch stehst du ratlos vor dem Kühlschrank, aber alles führt schon beim Gedanken daran, es zu essen, zu Magenschmerzen. Zwischendurch denkst du wieder über deine „Performance“ vom Vortag nach. Du fühlst dich furchtbar.

Auch am übernächsten Tag fühlst du dich nicht gut. Immerhin hast du heute Zähne geputzt und vielleicht wirst du es ja später sogar unter die Dusche schaffen. Du willst mit niemandem reden, niemanden sehen. Vielleicht ja morgen…

Kennst du etwas davon? Vielleicht sogar vieles? Oder alles? Geht es dir hin und wieder auch so? Oder ist quasi jeder deiner Tage ein Teil davon?

So wie „dir“ bei dieser Geburtstageinladung, geht es mir konstant. Ich denke ständig darüber nach, wie ich mich in einer Situation zu verhalten habe, stolpere über mein Nicht-Wissen über gesellschaftliche Gepflogenheiten und die Unsicherheiten, die selbst dann noch da sind, wenn ich Informationen darüber recherchiere. Manchmal helfen mir Hinweise und Informationen – manchmal sorgen sie aber auch dafür, dass ich mir noch mehr Gedanken und Sorgen mache. Ich betrachte alles von mehreren Seiten. Immer. Und manchmal vergesse ich dann doch eine Seite und ärgere mich ganz furchtbar darüber, dass ich nicht ALLES bedacht habe. Ich bin außerhalb von wirklich vertrauten, für mich sicheren Situationen konstant angespannt, nervös, hoch konzentriert und reagiere körperlich darauf. Nicht vertraute Menschen, Orte und Situationen sind für mich Ausnahmesituationen – immer – und ich brauche tagelang Erholung danach. Und am Ende wird analysiert, wiederholt, hinterfragt, dazu gelernt, denn ein Teil von mir will immer, immer nur eines: Einfach dazugehören können.

Ein Hinweis zum Schluss: Das ist meine Beschreibung, meines Erlebens. Für andere neurodivergente Menschen kann das ganz, ganz anders sein, denn wir haben sehr unterschiedliche Profile, unterschiedliche Stärken und Schwierigkeiten, unterschiedliche Erfahrungen und Strategien. Und es ist natürlich keine reale Geschichte – obwohl ich über den Geburtstag-Brotlaib mal nachdenken muss /hj (Tonidikator: half-joking) -, sondern nur der Versuch, verschiedene Erlebensebenen greifbar zu machen. Und mein Humor 😀

Autismus hat man für immer – ein wirklich moderner Blick auf Autismusspektrumstörungen

Autismus hat man für immer – ein wirklich moderner Blick auf Autismusspektrumstörungen

25. Oktober 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

Erst kürzlich tauchte auf einer großen Autismus-Seite mal wieder ein Text zum Thema „Autismus überwinden“ auf. In dem Text ging es hauptsächlich darum, wie falsch es doch wäre, davon auszugehen, dass Autismus ein Teil von einem selbst sei und dass er nicht heilbar wäre. Man müsse nur tüchtig an sich arbeiten und dann wäre der Autismus auch nicht mehr diagnostizierbar und damit geheilt. Wer das Gegenteil behaupte, hätte einfach nur das Problem, sich zu sehr mit seinem Autismus zu identifizieren und das gelte es zu überwinden.

Jetzt ist es so, dass der Artikel ein bisschen schummelt. Der Autor stützt sich auf die DIAGNOSTIZIERBARKEIT von Autismus und wir wissen ja: Autismus wird nur diagnostiziert, wenn die Diagnosekriterien erfüllt sind. Die Diagnosekritierien umfassen aber in erster Linie von außen erkennbare Symptome plus Leidendruck. Wirkt man also auf andere nicht mehr autistisch und hat keinen Leidensdruck mehr – ZACK – geheilt!

Das ist aber eigentlich nur der Punkt, an dem das „Störungsmodell“ psychischer Krankheiten an sein Limit kommt und wo wir nicht über Heilbarkeit, sondern über Diagnostizierbarkeit diskutieren sollten. Diagnosen sind nicht dafür da, um ein anderes Denken, Fühlen oder Wahrnehmen zu beschreiben. Sie sind dafür da, um eine Störung, eine Abweichung im Norm-Verhalten (also dem Verhalten der Mehrheit) zu beschreiben und diese Abweichung möglichst so zu verändern, dass sie nicht mehr „stört“ (meistens eher das Umfeld als die Betroffenen). Ich empfehle hierzu auch sehr den Post „Diagnose nur mit Leidensdruck“ der Autismusambulanz Halle!

Wenn der Autor des genannten Artikels also darüber spricht, dass Autismus „heilbar“ ist, sagt er eigentlich: Man kann als Autist*in so gut lernen, die autistischen Merkmale zu verstecken, dass man nicht mehr als Autist*in erkannt wird. Herzlichen Glückwunsch! /s (Tonindikator: Sarkasmus) Hier wird Masking als Heilung verkauft!

Warum ist es so schwer – auch als Autist*in – zu akzeptieren, dass man für immer autistisch sein wird?
Warum ist der Gedanke daran, nicht „geheilt“ werden zu können, so unerträglich, dass man sich selbst Brücken baut, um sich nicht länger als Autist*in wahrnehmen zu müssen?

Ich fürchte, die Antwort liegt darin, wie Autismus immer noch wahrgenommen wird. Sie liegt in all den Defiziten und den Problemen. Sie liegt in den Diagnosekriterien und sie liegt in den „Therapien“, die allzu oft immer noch darauf abzielen genau das zu erreichen, was der Autor des von mir kritisierten Textes empfiehlt: Benimm‘ dich normal, dann bist du auch kein*e Autist*in mehr! Dann störst du nicht mehr! Dann bist du nicht mehr lästig! Dann muss ich keine Rücksicht mehr auf dich nehmen!

So ist es aber nicht. Autismus hat man für immer – und Rücksicht verdient übrigens jeder Mensch!

Vollkommen egal, ob ich mich autistisch präsentiere oder nicht, ob ich dir in die Augen sehen kann oder nicht, ob ich Sarkasmus und Redewendungen verstehe, Spezialinteressen habe oder diesen Wollpullover, den du so kuschelig findest als unerträglich kratzig bezeichne und sofort wieder ausziehen muss oder ertragen kann – ich bin autistisch.

Autismus, das ist nicht das, was du von außen siehst. Er ist nicht das, was mich für dich anstrengend und seltsam macht. Autismus ist auch nicht das, was für dich unangenehm ist oder mich als pingelig und übersensibel dastehen lässt.

Autismus ist das, was ich empfinde, wie ich wahrnehme, wie ich denke. Autismus ist meine Sicht auf die Welt, nicht deine.

Du findest mich anstrengend, unhöflich, kleinlich und überempfindlich? Aber warum stört dich das überhaupt? Warum nervt es dich, wenn ich dir nicht in die Augen sehe? Warum fühlst du dich davon verletzt, dass ein Pulli, den du angenehm empfindest, für mich kratzt? Warum ist es so schlimm, dass meine Wahrnehmung eine andere als deine ist?

Und warum darf das für dich schlimm sein, aber nicht für mich?

Als Autistin bin ich es gewohnt, dass meine Wahrnehmung als falsch oder unpassend empfunden wird. Ich bin es gewohnt, dass ich mich dafür rechtfertigen muss, wenn ich etwas anders wahrnehme, dass ich mich dafür entschuldigen muss, wenn neurotypische Menschen mich mal wieder falsch verstehen oder dass ich mich so verhalten muss, wie es für mich unangenehm ist, nur um andere nicht zu enttäuschen oder als unhöflich empfunden zu werden.

Autistisch zu sein ist, als würdest du in eine fremde Kultur geworfen werden, mit einer fremden Sprache und fremden Gesten, Ritualen und Bräuchen und als würden die Mitglieder dieser Kultur überhaupt nicht verstehen, dass es neben ihrer Kultur auch eine andere – nämlich deine – gibt. Sie gehen davon aus, dass alle ihre Kultur und Sprache verstehen, dass ihre die einzig wahre Kultur ist und jede Person, die darin nicht so perfekt ist, ist fehlerhaft und krank.

Natürlich kannst du diese Kultur und Sprache lernen, vielleicht sogar so gut, dass die Mitglieder der Kultur irgendwann gar nicht mehr merken, dass das gar nicht wirklich deine Kultur ist und dich nicht länger als fehlerhaft, sondern als „geheilt“ betrachten. Aber wärst du wirklich „geheilt“? Oder würdest du einfach immer noch alles, was du siehst erstmal „übersetzen“? Würdest du vielleicht auch nach 20 Jahren klammheimlich immer noch vieles in D-Mark umrechnen, weil das das ist, was sich für dich vertraut und sicher anfühlt? Würdest du einen Teil deiner Energie dafür verwenden, in dieser fremden Kultur nicht aufzufallen, obwohl es immer noch nicht DEINE Kultur ist, nur um geheilt zu erscheinen, niemanden zu stören, „normal“ zu sein?

Genau so ist es auch mit der „Heilung“ von Autismus.

Ja, ich kann lernen, mich neurotypisch zu verhalten, aber ich werde nie lernen, neurotypisch zu denken, zu fühlen und wahrzunehmen. Ich denke, fühle und empfinde neurodivergent, autistisch, adhs-ig… eben so, wie ich bin!

Wenn Comic-Figuren eine Maske überziehen und dann für jemand anderes gehalten werden, erkennen wir alle, dass das in Wirklichkeit überhaupt nicht funktionieren würde. Wenn sich Robin Hood in der Disney-Version einen Schnabel anzieht und auf Stelzen geht, um als Storch am Wettkampf teilzunehmen, wissen wir als Zuschauer*innen natürlich immer noch, dass er in Wirklichkeit Robin Hood ist – auch, wenn er noch so perfekt den Storch mimt und im Film auch als solcher durchgeht. Denn er IST Robin Hood, egal, wie sehr er sich wie ein Storch benimmt.

Und genauso sind wir Autist*innen eben Autist*innen – auch dann, wenn wir eine neurodivergente Maske anziehen, jemandem in die Augen schauen und Metaphern verstehen.

Wenn ich mit anderen Autist*innen (oder auch Menschen mit ADHS) rede, merke ich, wie unsere Denkweisen sich ähneln, wie wir die Welt auf eine ganz andere Art wahrnehmen und verarbeiten, als das bei neurotypischen Menschen der Fall ist. Unser Verständnis der Welt, der Menschen und ihrer Verhaltensweisen ist ganz, ganz anders und unsere Schwierigkeit besteht oft darin, diese Verhaltensweisen für uns zu übersetzen – und im Gegenzug auch uns zu übersetzen, um uns für andere begreifbar zu machen.

Es ist nicht der AUSDRUCK, der uns zu Autist*innen macht (auch wenn es das ist, was diagnostiziert wird). Es ist unser Inneres. Es ist unsere Wahrnehmung. Es ist unsere Denkweise. Es ist unser Fühlen.

Nichts davon kann oder müsste geheilt werden.

Die einzige „Überwindung“ einer Autismusspektrumstörung, die ich mir wünsche ist die, dass Autismus nicht länger als Störung, Defizit oder Defekt verstanden wird, sondern als eine von vielen Möglichkeiten zu sein. Nicht besser, aber eben auch nicht schlechter als neurotypisches Sein.

Autismus hat man für immer und es ist Zeit, das nicht länger als Nachteil zu sehen. Nur so kommen wir zu einem „modernen“ Blick auf Autismus, ADHS und andere Neurodivergenzen. Nur so kommen wir zu einem zeitgemäßen Blick auf Diversität, auf „Normalität“, Abweichungen und Behinderungen.

Es geht nicht um Heilung oder Überwindung. Es geht um Anerkennung jeglicher Lebensrealität als gleichwertig.

Ich pfeife auf offizielle Diagnosen

Ich pfeife auf offizielle Diagnosen

20. Oktober 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

Alle paar Monate geht es wieder durch die neurodivergente Bubble: „Sind Selbstdiagnosen valide?“ Die (gefühlt) meisten halten Selbstdiagnosen für absolut valide, während ein paar immer wieder sagen: „Nein, nur offizielle Diagnosen sind gültig.“

Kurzer Einschub: Auch wenn das in solchen Diskursen oft anders rüberkommt: Für jegliche offizielle Unterstützung ist immer auch eine offizielle Diagnose erforderlich und Selbstdiagnosen dienen rein dem eigenen Verständnis, dem Zugehörigkeitsgefühl zur Gruppe der neurodivergenten Menschen und der Selbstbezeichnung. Es geht bei der Frage also letzten Endes nur darum: „Darf ein Mensch sich selbst als Autist*in/ADHSler*in/usw. bezeichnen?“

Der Grundgedanke dabei ist: Nur eine ausgebildete Fachperson, die viele Jahre studiert hat, was Neurodivergenzen sind, wie sie sich präsentieren und worin sie sich unterscheiden, ist in der Lage, eine Neurodivergenz korrekt zu diagnostizieren.

Das Problem dabei: Die meisten Fachpersonen sprechen noch nicht mal von Neurodivergenzen, sondern von psychischen Störungen und ja, sie haben sie studiert – aber viel zu oft beträgt der Studienumfang zum Thema Autismus halt eine einzige Vorlesung oder vielleicht sogar nur ein Kapitel in der Vorlesung „Frühkindliche Entwicklungsstörungen“.

Das Wissen, das an Universitäten über Autismus, ADHS und Co. gelehrt wird, ist teilweise ganz furchtbar veraltet, es herrschen immer noch Meinungen vor, wie „nur Jungen haben das“, oder „das verwächst sich“ – oder, wie es mir letztens passierte, dass ich gefragt wurde, ob mein Autismus denn angeboren sei? „Äh ja, Autismus ist immer angeboren?“ Große Überraschung auf Seiten des Arztes, das hätte er gar nicht gewusst.

Was ich sagen möchte: Wir haben ein unheimlich leuchtendes, reines, perfektes Bild von „ausgebildeten Fachpersonen“. Wir denken, die haben jahrelang studiert, wissen alles über alle psychischen Störungen, bilden sich regelmäßig fort und jede ihrer Diagnosen ist gerechtfertigt.

Nur so ist es leider nicht.

Es gibt keine genauen Zahlen, aber in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung wird zum Beispiel von einer Rate an Fehldiagnosen zwischen 20 und 40 Prozent ausgegangen.

Warum? Zum einen sind viele Symptome – auch in Kombination – nicht eindeutig, zum anderen sind psychische Diagnosen IMMER subjektiv, auch von einer noch so gut ausgebildeten Fachkraft. Es gibt schlichtweg für (die meisten) psychischen Probleme keine Biomarker, also Blut- oder Gewebemerkmale, anhand derer man die Erkrankung einwandfrei bestimmen könnte.

Psychische Diagnosen erfolgen immer anhand von Fragebögen, Gesprächen, Beobachtungen. Sie sind immer beeinflusst vom Verständnis des Fragebogens, vom Zustand der Beteiligten während eines Gesprächs oder einer Beobachtung, sie hängen ab von der Fähigkeit, sich auszudrücken, sich zu reflektieren, etwas von sich zu berichten. Und sie hängen von der Erfahrung der Fachperson mit einer speziellen Störung ab.

Eine Praxis oder Klinik, die sich auf Borderline spezialisiert hat, wird immer einen sehr großen Anteil an Borderline-Diagnosen haben, auch, wenn sie vielleicht falsch sind. Nicht aus Böswilligkeit, oder um besonders viele Patient*innen zu haben, sondern schlichtweg, weil die diagnostizierenden Personen im Bereich Borderline die höchste Expertise haben und alles, was nur ansatzweise darauf hindeutet in diese Richtung interpretieren – auch, wenn es vielleicht auch andere Gründe dafür geben könnte. Sie sind in ihrer eigenen Wahrnehmung und Erfahrung gefangen.

Genau so ist es auch mit Psychiater*innen und Psycholog*innen mit anderen Schwerpunkten.

Überhaupt: Es ist erst seit 2013 – also seit gerade mal knapp 10 Jahren! – überhaupt möglich, Autismus und ADHS zusammen zu diagnostizieren, davor war der offizielle psychiatrische Standard: Es ist entweder das eine ODER das andere. Heute wissen wir, dass zwischen 50 und 80 % (ja nach Quelle) der Autist*innen auch ADHS haben und andersrum.

Oder das Thema Autismus und ADHS bei nicht-weißen und/oder nicht-männlich gelesenen Personen. Bis heute sind beide Neurodivergenzen in BI_PoC unterdiagnostiziert, ebenso in Kindern (und Erwachsenen), die nicht als männlich wahrgenommen werden (das betrifft explizit nicht nur cis Frauen!).

Genauso gibt es heute noch – auch junge – psychologische Fachpersonen, die noch von Asperger-Autismus oder von hochfunktionalem Autismus sprechen! Oder Diagnosekriterien, die nach wie vor eigentlich nur die Außensicht im Blick haben, die Störung, die das Individuum verursacht – so wie Therapien BIS HEUTE darauf basieren, dass neurodivergente Menschen sich eben anpassen sollen.

Das ALLES kommt von ausgebildetem, studiertem, geschulten Fachpersonal! Von den Menschen, die angeblich die einzig wahre Kompetenz besitzen sollen, um festzustellen, ob ich neurodivergent bin und wenn ja, welche Neurodivergenz es denn bitte ist.

Ganz ehrlich: Ich kann offizielle Diagnosen nicht als gesicherter betrachten als eine Selbstdiagnose.

Ja, natürlich sind Selbstdiagnosen subjektiv. Das sind Diagnosen durch Fachpersonen aber auch – ob wir das wahrhaben wollen oder nicht!

Viele neurodivergente Menschen sind unheimlich selbstreflektiert, recherchieren jahre(!)lang, beschäftigen sich mit Alternativen, probieren aus, hinterfragen und analysieren – und das in einem Ausmaß, dass keine offizielle Diagnose leisten könnte.

Ich wäre daher sehr dafür, dass wir darüber diskutieren, was alles zu einer Diagnose gehören sollte, als darüber, ob man das selbst machen kann, oder dafür eine studierte Person braucht.

Das studierte Fachpersonal sollte ein Lotse sein, der uns auf unserem Diagnoseweg begleitet, uns wo nötig anleitet und unterstützt, das hinterfragt, was wir vielleicht übersehen oder nicht hinterfragen können und uns zu einer Selbsterkenntnis über unsere Neurodivergenz führen – und nicht der Richter darüber sein, ob wir uns autistisch nennen dürfen oder nicht.

Ich pfeife auf offizielle Diagnosen!

Und können wir jetzt vielleicht darüber reden, was für uns zu einer Diagnose gehören würde? Unabhänging davon, wer diese Diagnose am Ende erstellt!

Unser Ziel sollte nämlich sein, dass neurodivergente Menschen früher herausfinden, DASS sie neurodivergent sind und wie sie damit ihr Leben führen können – darum geht es nämlich.

Der Tag, als ich mein Spezialinteresse verlor

Der Tag, als ich mein Spezialinteresse verlor

13. Oktober 2022 Claudia Unkelbach Comments 0 Comment

Vor vielen, vielen, vielen Jahren war mein Spezialinteresse PHP, eine Skriptsprache, mit der sich viele Online-Anwendungen realisieren lassen. Nicht, dass ich damals schon wusste, was ein Spezialinteresse ist, aber rückblickend, war es definitiv genau das.

Ich hatte 2001 mit PHP angefangen, mich sofort darin vertieft und alles darüber gelernt und ausprobiert, was mir irgendwie in den Sinn kam. Nach kurzer Zeit schrieb ich ein Tutorial dazu – eigentlich nur, um einem Freund PHP zeigen und erklären zu können – und es entwickelte sich zu einer Anlaufstelle für all jene Menschen, die mit den üblichen Programmier-Tutorials nicht zurechtkamen.

In den folgenden Jahren programmierte ich viel für mich selbst, aber auch für andere. Ich liebte die Herausforderung, die Probleme und die Wege zu einer Lösung. Ich liebte die Art zu denken und was mein Gehirn damit machte. Ich suchte mir immer neue Aufgaben, experimentierte mit Dingen, die so gut wie gar nicht dokumentiert waren und probierte einfach herum, bis etwas für mich funktionierte.

PHP war für mich ein ganz großer, wichtiger Teil meines Lebens, ja meiner Identität. Wenn ich mich damit beschäftigte, schien alles zu glitzern und zu funkeln, in meinem Kopf leuchteten die Verbindungen auf, lockten mich, führten mich. Alles war fließend und wunderschön…

… und dann kam ein Tag, an dem alles verschwand.

Ich steckte in einem größeren Projekt, eine Internetseite mit stark personalisiertem Content Management System, hatte viele tolle Ideen, die ich noch einbringen wollte, spannende Überlegungen… und plötzlich verstand ich nichts mehr. Nicht meine eigenen Gedanken, nicht meine Pläne, nichts von dem bereits geschriebenen Code.

Da stand etwas, ja, ich konnte es auch lesen, aber ich verstand nicht mehr, was es tun würde. Ich verstand nicht mehr, was ich davor oder danach oder drumherum brauchte, um etwas damit zu erreichen. Ich verstand nicht mehr, was ich tun musste, um ganz simple Dinge, die ich schon hunderte Mal gemacht hatte, wieder zu machen.

Mein Kopf fühlte sich gleichzeitig komplett leer und übervoll an, alle Verbindungen, die darin immer vorhanden waren und die so wunderschön und verlockend geglitzert hatten, waren abgerissen, nichts leuchtete mehr und diese dunkle Leere schien mich zu verschlucken, während all die kaputten Fetzen mich erdrückten.

Ich quälte mich durch das Projekt – es musste ja fertig werden -, behalf mir mit Copy&Paste und ein paar ziemlich unsauberen Stellen, die meinem Verständnis von mir selbst und meiner Arbeit sehr, sehr zuwider liefen. Gleichzeitig war mir aber klar: Es ging nicht anders.

Jedes Mal, wenn ich versuchte, auch nur aus den Augenwinkeln auf mein ehemals glitzerndes Netz zu schauen, bekam ich Kopfschmerzen, alles schien sich zusammenzuziehen, wie in einem Krampf, jeder Gedanke an Code, Funktionen, Aufgaben, Lösungen war wie ein Schlag ins Gesicht.

Das Projekt habe ich noch abgeschlossen, aber danach hieß es, damit klarzukommen, dass ich einen Teil von mir selbst verloren hatte. Ich liebte coden! Ich liebte diese Denkweise! Ich sehnte mich danach. Aber sie gehörte nicht mehr zu mir….

Ich erinnere mich nicht mehr an die Zeit danach, sie ist für mich wie gelöscht. Meine einzige Erinnerung ist die daran, dass jede Bitte um Wartung einer Internetseite, die ich entwickelt hatte, mich in ein dunkles Loch schleuderte, ich total verzweifelt war und diese Barriere, die da in meinem Kopf war, mich unendlich quälte.

Es waren zum Glück immer nur Kleinigkeiten, die sich dann am Ende doch lösen ließen – mit einem absolut nicht gerechtfertigten Aufwand, aber irgendwie bekam ich sie hin; und war unendlich froh, als die Anfragen immer seltener wurden.

Ich kann bis heute nicht mehr wirklich programmieren. Manchmal versuche ich es noch, sehe eine spannende Aufgabenstellung, mit der ich mich beschäftigen möchte und hin und wieder ist dann für einen Moment sogar wieder das Spielerische, Faszinierende da. Das glitzernde, funkelnde, fließende Netzwerk ist aber nie wieder zurückgekommen und Anfragen zum Thema PHP führen immer noch zu Angst vor der großen, dunklen, alles lähmenden Klammer in meinem Kopf.

Ich weiß bis heute nicht, was da passiert ist, neige aber inzwischen dazu, es als Form eines autistischen Burnouts zu verstehen. Ich weiß nicht, was dazu geführt hat, erinnere mich nur an viel Stress und Druck und Angst und Hilflosigkeit – die meisten Erinnerungen an diese Zeit sind aber einfach weg.

Es fehlt mir immer noch hin und wieder: Das Programmieren, dieser Teil von mir, das wunderschöne Netzwerk, das in meinem Kopf glitzerte, die Zufriedenheit, wenn ich ein Problem lösen konnte, diese Klarheit, die im Code lag… Es war wunderschön.

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